Unkräuter und andere Begleitflora
Wild, stark und unverwüstlich
In einer landwirtschaftlichen Abhandlung aus dem Jahr 900 schreibt der Ackerbauwissenschaftler Hermann Droop zum Thema «Unkraut»: «Wie sich unter dem Menschengeschlecht verschiedene Personen mit aufgeblasener Wichtigthuerei breit und ihren Nebenmenschen das Leben sauer machen, jedem strebsamen Menschen aber im Wege und ein Aergerniss sind, so unter den Kulturpflanzen die Unkräuter.» Schon seit geraumer Zeit wird darüber debattiert, ob man den Begriff «Unkraut» nicht besser durch «Wildkraut» oder «Begleitflora» ersetzen solle – im Natur- und Umweltschutz ist fast nur noch von Letzterem die Rede.
Text: Antje Peters-Reimann, Illustrationen: Helga Jaunegg
Egal ob «Unkraut», «Wildkraut» oder «Begleitflora»: «Die Unkräuter im Garten sind gewissermassen die natürliche Vegetation des Standortes», schreibt der erfahrene Heil- und Wildkräuterspezialist Rudi Beiser. Manche dieser Pflanzen sind spannende «Spezialisten»: Da sie nur auf bestimmten Böden wachsen, geben sie uns einen Hinweis auf deren Zusammensetzung und Beschaffenheit. Man nennt sie deshalb auch Zeiger- oder Indikatorpflanzen – verändert sich die Bodenbeschaffenheit, verschwinden auch die Pflanzen wieder.
Darüber hinaus sind manche Wildkräuter regelrechte Kraftpakete: Einige enthalten grosse Mengen an Vitaminen, Heilsubstanzen und Mineralstoffen. Sie sind daher aus der Wildkräuterküche oder der Pflanzen- und Hausapotheke nicht wegzudenken. Viele begleiten uns Menschen schon seit undenklichen Zeiten und es ranken sich die merkwürdigsten Geschichten und mancher Aberglaube um sie. Kein Wunder, dass sie mitunter sehr einprägsame Volksnamen haben. Auch sind viele Wildkräuter geniale «Vermehrungsstrategen», das heisst, sie haben sehr effektive Möglichkeiten entwickelt, um das Überleben beziehungsweise die Weiterverbreitung ihrer Art zu sichern.
In kürzester Zeit begrünt die Echte Zaunwinde (Calystegia sepium) mit ihren bis zu drei Meter langen Trieben Mauern, Zäune und andere Rankmöglichkeiten. Sie windet sich gegen den Uhrzeigersinn an allem hoch, was sich in ihrer Nähe befindet. Wenn sie nichts zum Hochranken findet, wächst sie ungehemmt auf dem Boden weiter. Werden Pflanzen von der Zaunwinde überwuchert, haben sie unter ihrer puren Blattmasse zu leiden und sterben deshalb sogar manchmal ab. Ihre attraktiven weissen Trichterblüten sind bei trockenem Wetter geöffnet und locken dann Nachtschmetterlinge und Schwebfliegen an. Wegen ihrer Vermehrungsstrategie kann die Zaunwinde schnell im Garten lästig werden: Sie besitzt als Überdauerungsorgan kriechende, unterirdische Rhizome und noch aus deren winzigsten Teilstücken kann sich die Pflanze aufs Neue regenerieren. Die Zaunwinde ist ein echter Kulturbegleiter, der dem Menschen überallhin folgt, seitdem dieser Ackerbau und Viehzucht betreibt. In vielen Kräuterbüchern des Mittelalters ist die Pflanze als Heilpflanze bekannt. So empfiehlt der italienische Arzt und Botaniker Pietro Andrea Mattioli ihren harz- und gerbstoffhaltigen Saft bei Verletzungen. Ausserdem wurde er als Abführmittel verwendet. Die Zaunwinde ist allerdings leicht giftig und man sollte deshalb auf ihren Verzehr verzichten.
Forscher bezeichnen den Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense) als lebendes Fossil – man kennt seine Vorfahren bereits seit gut 400 Millionen Jahren, als die Schachtelhalme zu 30 Meter hohen Bäume heranwuchsen. Die Steinkohle, die heute abgebaut wird, stammt aus ihren pflanzlichen Überresten. Dass die Ackerschachtelhalme auf eine so lange Geschichte zurückblicken, verdanken sie ihrer Vermehrungsstrategie: Sie vermehren sich nicht etwa über Samen, sondern ungeschlechtlich über Sporen, die äusserst robust sind. Schon im Altertum machte man sich die Heilwirkung der Pflanze zunutze. Aufgrund ihrer Inhaltsstoffe verwendete man sie bei Erkrankungen der Nieren und Harnwege sowie zur Blutstillung und Entwässerung des Gewebes bei Ödemen. Einer der wichtigsten Wirkstoffe des Ackerschachtelhalms ist die in ihm enthaltene Kieselsäure, die beim Aufbau von Bindegewebe, Sehnen, Bändern, Haut, Haaren und Knochen sowie Zähnen und Nägeln eine wichtige Rolle spielt. Den Namen Schachtelhalm verdankt er seinem Aufbau, weil sich bei ihm in der Wachstumsphase wie bei einem Teleskop «Schachtel um Schachtel» eine neue Pflanzenetage aus dem Trieb in die Höhe schiebt.
Die Volksnamen «Reibwisch», «Kannenkraut», «Zinnkraut» und «Scheuerkraut» trägt die Pflanze, weil man sie früher wegen der enthaltenen Kieselsäure auch als natürlichen Topfreiniger und zum Polieren von Zinngeschirr nutzte.
Dies ist ein Auszug aus dem Artikel «Wild, stark und unverwüstlich», der in der Septemberausgabe 2024 des Pflanzenfreunds erschienen ist.