Der Nuss-Sammler

Jonas Frei

Pflanzensamen sind Leben in komprimierter Form. Einer, der diese schlafenden Existenzen genau kennt, ist der Landschaftsarchitekt und Autor Jonas Frei. Er ist ein Sammler von Naturelementen und Fakten, einer, der wissen will, wie die Dinge funktionieren, wo Zusammenhänge bestehen, welche Rückschlüsse sich ziehen lassen. Und der es liebt, anderen diese Zusammenhänge in Film, Bild oder Illustration zugänglich zu machen.

Text: Judith Supper, Fotos: Katharina Nüesch

 

Jonas Frei in seinem Atelier

 

Erneut hat er ihn gewonnen, den Deutschen Gartenbuchpreis «Bestes Garten- oder Pflanzenportrait», und zwar für sein Buch «Die Haselnuss», das vergangenes Jahr im AT-Verlag erschienen ist. Vor vier Jahren hat er die Auszeichnung schon einmal erhalten, für «Die Walnuss», seine erste Buchveröffentlichung. Aber Jonas Frei kann viel mehr, als nur Bücher schreiben. Er ist Landschaftsarchitekt, Fotograf, Filmer, Designer, Botaniker, Illustrator, spielt Klavier, Billard und Schach – und ist erst 31 Jahre alt. Wer ist dieser Mann mit den vielen Eigenschaften?

Um was es geht: das Leben

Ein Dörflein im Zürcher Weinland an der Thur. Etwas über 2000 Menschen leben hier, Tendenz steigend – was nicht überrascht, denn Winterthur ist per öV in weniger als einer halben Stunde, Zürich in einer knappen Dreiviertelstunde erreicht; der Ort ist begehrt bei Berufspendlern. Riegelhäuser, Blumenkübel und Brunnen strahlen Postkartenidylle aus. In einem dieser historischen Fachwerkhäuser lebt Jonas Frei. Hier wurde er geboren, erst kürzlich ist er mit seiner Partnerin aus Zürich weg- und wieder ins Haus seiner Kindheit gezogen.

 

Einblick in Jonas Sammlung

 

Die Ordnung verstehen

Jonas Freis Begeisterung für Welten, die sich hinter harten Schalen verstecken, ist wohl Resultat einer Sammelleidenschaft, die ihn schon in jungen Jahren erfasste. Er sammelte als Kind aber keine Spielfiguren, Zuckertütchen oder Rahmdeckel, sondern Naturmaterialien. «Ich hatte kistenweise Muscheln», sagt er und lacht. Naturthemen hätten ihn schon immer begeistert. Das würde wohl auch damit zusammenhängen, dass rund um das historische Fachwerkhaus in diesem Dörflein im Zürcher Weinland ein bemerkenswerter Garten steht. «Es gibt alte Pläne, auf denen teils die Heckenstrukturen erkennbar sind», erzählt der Autor. «Nach diesen historischen Vorbildern hat mein Vater den Garten gestaltet.» In den Buchshecken-Parterres wachsen Karden, Kosmeen, Verbenen, Brandkraut, Brennnesseln, Taglilien und Spornblumen im üppigsten Durcheinander. Den oberen Bereich des Gartens prägt eine Blumenwiese. Paradiesische Bedingungen für Insekten und andere Tiere. Mit und in diesem Garten aufzuwachsen, habe ihn geprägt, und viele Jahre beschäftigte sich Jonas mit Insekten, versuchte, die Arten zu bestimmen, egal ob Käfer oder Zweiflügler, «einfach alles, was fliegt oder krabbelt».

 

Ähnlichkeiten und Vielfalt aufzuspüren oder zu erforschen, hat den 31-Jährigen schon immer fasziniert

 

Über die Walnuss sei er im Arboretum in Zürich «gestolpert». «Dort hatte ich sehr spezielle Früchte gefunden, die ich nicht bestimmen konnte. Auch in meinen Botanikbüchern fand ich sie nicht. Das hat mich gefuchst.» Nach einiger Recherche fand er heraus: Es handelte sich um eine Butternuss (Juglans cinerea). Die Art gehört zur Gattung der Walnüsse und ist in Nordamerika heimisch. Seitdem hat ihn das Thema nicht mehr losgelassen. «Je mehr ich mich einlas, desto besser verstand ich, wie divers diese Gattung ist – und wie wenig man über sie weiss.» Er sammelte und fotografierte die vielen verschiedenen Formen und legte eine Referenzsammlung an. So entstand über die Jahre ein umfassendes Nuss-Kompendium: fertig gelayoutet, inklusive Grafiken, Illustrationen und Fotos – alles von Jonas. Der AT-Verlag musste nur noch den Feinschliff erledigen, und 2019 erschien es, das Buch «Die Walnuss», über ein Kilo schwer, hochwertig in Leinen gebunden, eine Wunderkiste an Informationen.

 

In Jonas Freis Naturgarten wächst es wild und üppig

 

Wo es schwierig ist, entsteht Vielfalt

An seinem zweiten Buch, «Stadtwildpflanzen », arbeitete Jonas etwa sechseinhalb Jahre. Auf 350 Seiten, in über 500 Fotografien, Herbarbelegen und Skizzen stellt er darin die urbane Pflanzenwelt vor. Es ist eine Verneigung vor der Vielfalt der «Flora urbana», die aus Ritzen spriesst und Brachflächen erobert. «Man hat ja immer wieder die Vorstellung, dass es für ein Überleben optimale Bedingungen braucht. Aber häufig ist es so, dass eine Magerwiese, die aus landwirtschaftlicher Perspektive nichts bietet, die artenreichste Form von Fläche ist. Gerade die noch bewohnbaren Grenzbereiche sind für viele Arten das, was sie eigentlich brauchen – oder worauf sie ausweichen, weil ihnen die nötige Konkurrenzkraft fehlt.» Dieser Gegensatz fasziniere ihn – «Vielfalt an einem Ort zu finden, wo man sie nicht erwartet, oder auch die Vorstellung, dass man nicht unbedingt in die Serengeti muss, um die Natur zu sehen. Sondern dass es häufig reicht, genauer hinschauen, was in Fugen und kleinen Ecken wächst.»

 

Dies ist ein Auszug aus dem Artikel «Der Nuss-Sammler», der in der Septemberausgabe 2024 des Pflanzenfreunds erschienen ist.

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