Von nonchalant bis detailverliebt

Vogelnester

Getarnt und gepolstert sind sie fast alle. Raffinessen wie «mitwachsend» und «mit Klettverschluss» sind dagegen die Ausnahme. Und vordergründige Schlampigkeit beim Nestbau entpuppt sich bei genauerem Betrachten als nachhaltige Baukunst.

Text: Alexandra von Ascheraden, Illustrationen: Atelier bunterhund


 

Ringeltaube

Sie nistet im Frühling gern in Nadelbäumen oder Efeu. Für spätere Bruten darf es auch Schlehe, Weissdorn oder Holunder sein. Hauptsache, eine brauchbare Astgabel. Ihr Nest wirkt wie ein wirrer Haufen Äste. Doch der Eindruck von Schlampigkeit täuscht. Die Nester dieser Vögel gehören zu den dauerhaftesten unserer heimischen Vogelwelt. Das Männchen bringt unbelaubte Zweige zum Bauplatz, die es vom Boden aufsammelt oder unter beträchtlichen Mühen vom Baum abbricht. Das Weibchen baut daraus das Nest, indem es einen Zweig auf den nächsten legt und sich dabei langsam im Kreis dreht. Das Material ist oft derart locker aufgeschichtet, dass die zwei weissen Eier (mehr gibt es pro Brut nicht) von unten sichtbar sind. Stabil wird das Ganze durch zwei Tricks. Das Weibchen erhöht die Steifigkeit, indem es Zweige, die über den Rand hinausragen, geschickt umbiegt und unter der Plattform befestigt. Trick Nummer zwei steuern die ausgebrüteten Jungen selbst bei. Ihr recht flüssiger Kot sickert durch das Nestgeflecht und härtet zementartig aus. So kann das Gebilde dem Gewicht des stetig wachsenden Nachwuchses standhalten.

 

KUCKUCK

Ja klar, er baut sein Nest nicht selbst, der alte Brutschmarotzer. Falls es Kuckucke in der Gegend gibt, ist das jedoch ein Zeichen für hohe Artenvielfalt. Das Kuckucksweibchen legt seine Eier bevorzugt in Nester von Bachstelze, Berg- und Baumpieper, Hausrotschwanz, Teichrohrsänger und Grauschnäpper. Dabei ist jedes Weibchen auf eine bestimmte Wirtsvogelart spezialisiert, denn es passt die Färbung seines Eis den im Nest vorhandenen an. So werden die unfreiwilligen Adoptiveltern nicht misstrauisch. Zehn bis fünfundzwanzig Eier verteilt es einzeln in die Nester anderer Vögel, etwa alle zwei Tage ein neues. Der Kuckuck nimmt danach jeweils eines der anderen Eier im Nest in den Schnabel und fliegt mit ihm davon. So stimmt beim Zählappell alles. Noch einen Trick hat der Kuckuck drauf: Damit das frisch geschlüpfte Kuckucksjunge die Eier leichter aus dem Nest befördern kann als die daraus geschlüpften Adoptivgeschwister, muss er möglichst vor ihnen schlüpfen. Dazu verschafft ihm die Kuckucksmutter einen Vorteil, indem sie das Ei bei vierzig Grad noch vor dem Legen im eigenen Körper anbrütet, was ihrem Jungen einen bis zu dreissigstündigen Zeitvorteil verschafft.

 

SCHWANZMEISE

Sie ist eine besonders versierte Technikerin. Ihr Kugelnest verfügt sogar über einen Klettverschluss. Ein durchschnittliches Schwanzmeisennest enthält 3000 Flechtenstücke, 600 Spinneneikokons, 250 Moosstücke und 1500 gesammelte Federn. Die Bauzeit beträgt bis zu vier Wochen, ungewöhnlich viel. Kein Wunder. Zuerst baut sie ein ovales Napfnest aus Moos und Spinnfäden in einer Astgabel. Dann geht es in die Höhe. Immer wieder wickelt sie einen Spinnfaden um einen der Äste, die das Nest halten, und befestigt daran das «Dach» des Kugelnestes. Die Fäden dafür zieht sie wie von einer Fadenspule aus den Spinnenkokons, die sie im Moos einbaut. Das Ganze kann bei Bedarf wie ein Klettverschluss wieder gelöst und neu fixiert werden. So kann das Nest bequem mit den sieben bis vierzehn Jungen mitwachsen.

 

Neugierig, wie andere Vögel ihre Nester bauen? In unserer Juli-/August-Ausgabe 2023 findest Du neun weitere Porträts, die alle vom Atelier bunterhund liebevoll illustriert wurden.

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