Jenseits von Gut und Böse

Technik im Garten

In dieser Ausgabe steht die Technologie im Mittelpunkt. Wie bereits angekündigt, erwarten Dich in unserem Gartenmagazin aber keine Tipps zu Rasenrobotern und Bewässerungsanlagen. Wir nähern uns diesem Thema auf «pflanzenfreundliche» Art und Weise. Dass unsere Autorin Nicole Häfliger, die beim Thema «Technik im Garten» stets unverhohlen die Nase zu rümpfen pflegte, zu gänzlich unerwarteten Erkenntnissen gelangte, zeugt von Humor, Selbstkritik und Offenheit.

Noch liebt sie ihn, ihren mechanischen Spindelmäher. Ob Liebe und Stolz von Dauer sein werden?

Unlängst, als mein mir treu dienender und scheinbar unkaputtbarer Elektrorasenmäher dann doch sein Zeitliches segnete, ergriff ich die Gelegenheit beim Schopfe und tätigte – überzeugte Technik-Naserümpferin, die ich war – den längst ersehnten Schritt rückwärts: Ich kaufte mir einen mechanischen Spindelmäher. Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte wie auch einer nicht gerade kleinen Rasenfläche. Die Gründe dafür lagen auf der Hand. Nicht nur, dass mir für so etwas fundamental Natürliches wie die Natur lärmende Technik und Strom widerstrebten. Es schien mir auch unsinnig, im Fitnesscenter an einer Maschine zu sitzen, die dieselben Bewegungen und denselben Kraftaufwand von mir verlangten wie so ein Mäher – von der Bezahlung für Ersteres und dem nicht gemähten Gras gar nicht erst zu reden. Selbstzufrieden machte ich einen auf Back to the roots: zurück zu den Zeiten, als die Welt noch gut und mechanisch war.

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Das Mängelwesen Mensch

Vor lauter Stolz auf meine Rückschrittlichkeit übersah ich etwas ziemlich Entscheidendes. Etwas, worüber ich erst bei der Recherche für diesen Artikel stolpern sollte. Die von mir so schnöd verschmähte Technik nämlich ist nicht nur älter als mein jüngst Verblichener, nein, sie hat noch mehr Jahre auf dem Buckel als der erste Rasenmäher überhaupt. Etwa zweieinhalb Millionen, um genau zu sein. Damals nämlich schlug die Geburtsstunde der ersten Werk-zeuge und somit auch die der Technik. Tatsächlich kommt das griechische Wort technikós nicht etwa von «Lärm, Gestank und Biep-Biep», sondern von «Kunst, Handwerk, Kunstfertigkeit». Im Klartext: Mein Lieblingsgartenwerkzeug, der Unkrautstecher, ein einfacher Metallstift mit hölzernem Griff, ist ein Wunderwerk der Technik.

Ich geriet gehörig ins Stutzen. Bislang konnte meine Mechanikgrenze Gut von Böse probat trennen. Jedenfalls im Garten. Der handbetriebene Mäher war gut, ein Benziner übel. Spaten super, Motorhacke pfui. Laubrechen toll, Laubsaugblaser? Ach nö. Aber wie sinnvoll ist es, im Zusammenhang mit Technik von Gut und Böse zu sprechen?

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Könnte man Arnold Gehlen fragen, dann lächelte er vermutlich milde und verwiese auf seinen 1940 erschienenen Klassiker der philosophischen Anthropologie, in dem er den berühmt gewordenen Begriff «Mängelwesen» prägte – womit er niemand anders meinte als uns. So mangelt es uns menschlichen Wesen, verglichen mit Tieren, an einer Spezialisierung der Sinne und Organe, sprich an einer adäquaten Lebensraumanpassung. Es fehlt uns eine schützende Körperbehaarung gegen unwirtliche Witterung, auch sehen, hören und riechen wir nicht besonders gut, wir sind nur ungenügend ausgerüstet, um uns gegen Raubtiere zu verteidigen, und so richtig schnell wegrennen, klettern oder in die Höhe springen können wir auch nicht. Und das ist noch längst nicht unsere gesamte Mangelhaftigkeit. All diese Mängel jedoch sind zugleich auch ein Vorteil. Nicht auf einen Lebensraum spezialisiert zu sein, bedeutet auch, sich in jedem möglichen zurechtfinden zu können. Weltoffenheit nennt das Gehlen. Kombiniert mit unseren nicht zu unterschätzenden Vorteilen, unserem Geist und den beweglichen Daumen, erschaffen wir selber, woran es uns mangelt. Wir können unseren Lebensraum also so gestalten, dass er passt. Dafür aber sind wir notwendigerweise auf Technik angewiesen. Anders gesagt, wir wären reichlich dämlich, würden wir sie nicht nutzen.

So richtig weltoffen kam ich mir nach diesen Erkenntnissen nicht mehr vor. Sah ich Technik bislang als un-, wenn nicht widernatürlich, als feindlich gar, erschien sie mir nun in einem völlig anderen Licht: Technik ist schlicht dazu da, unsere Mängel auszugleichen. Und dabei muss sie uns nicht zwingend der Natur entfremden. Ganz im Gegenteil.

«Vorwärts zur Natur»

Technik ist mitunter das einzige Mittel, den Menschen ihr eigenes geschaffenes Stück Natur überhaupt erst zu ermöglichen: All jenen nämlich, die einen Garten geniessen möchten, die damit verbundenen Arbeiten aber nicht (mehr) leisten können oder wollen. Wer schon körperlich eingeschränkt war, weiss, wie hilfreich es sein könnte, die Arbeit dem vollautomatischen Mähroboter oder der per App regulierbaren Bewässerungsanlage zu überlassen. Und wer angesichts eines fordernden Berufs nur das Wochenende zum Entspannen hat, wenn überhaupt, ist anders als gewisse Gartenverrückte froh, dies dank dem Unkrautroboter im Liegestuhl tun zu können. Genau. Der erste, wenn auch etwas unbeholfene Jätroboter ist tatsächlich auf dem Markt. Seit 2017. Sogar solarbetrieben. Vergleichbar also mit einem gartenunkundigen menschlichen Helfer: Man braucht weder Steckdose noch Benzin, aber mit Kollateralschäden ist hier wie da zu rechnen. Das Stichwort «solarbetrieben» beleuchtet einen weiteren bedeutsamen Aspekt moderner Technik. Kann sie doch, so zeigten die jüngsten Jahre, durchaus umweltfreundlich sein und wird es tendenziell auch immer mehr. Gemessen am strotzenden Abgasungetüm von 1902 und seinen benzinbetriebenen Nachfolgemodellen ist ein Mähroboter der jüngsten Generation ein Segen für die Umwelt (zu der, so möchte ich angeführt haben, auch unsere Ohren und Nasen gehören).

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Und zwar ein Segen in zweierlei Hinsicht. Auffällig ist: Wo früher «klassisch» benzingemäht wurde und heute ein Plastikkäfer auf dem Grundstück rumkurvt, bietet der Rasen oft einen schöneren Anblick. Der Grund ist schlichtweg mangelndes Wissen seitens des Mängelwesens, nun gnädig durch die Technik behoben. Während bei einem klassisch gemähten Rasen ziemlich viele Fehler begangen werden können, vermeidet der Rasenroboter die gröbsten auf verblüffend einfache Weise. Und dabei muss man sich keineswegs auf einen Golfrasen be­schränken. Je nach Schnitthöhe ist auch ein natur­näherer Wildkräuterrasen möglich und – dank der beliebig verlegbaren Begrenzungskabel – sogar das Anlegen von Wieseninseln. Ganz ähnlich wirkt sich eine weitere neue Entwicklung aus. Gemeint sind Sensoren, die Auskunft geben über Bodenqualität, Sonneneinstrahlung, durchschnittliche Regenmen­ge sowie Temperatur und die dann eine Liste von hierfür geeigneten Pflanzen vorschlagen. Man mag bemängeln, dass dabei jeder Aufwand gescheut wird, sich selber zu informieren, sei es auch nur beobachtenderweise. Aber seien wir ehrlich: Auch das ist Selbstinformation. Und seien wir noch ehrlicher: Einer Trollblume ist es egal, wie die Selbstinforma­tion geartet ist, solange sie nicht vollsonnig, trocken und nährstoffarm gesetzt wird. (Das Beispiel ist nicht erfunden.) Wenn Sensoren, Apps und Was­auchimmers Gartenbesitzer dazu bewegen, Pflanzen ihrem Lebensbereich entsprechend zu pflanzen, bringt das allen etwas. Allen voran der Pflanze sel­ber. So sagt auch der deutsche Zukunftsforscher Max Thinius: «Maschinen und künstliche Intelli­genz werden uns helfen, eine eigene Sensibilität für Gärten in der breiten Bevölkerung wieder aufzu­bauen.»

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Laut Thinius stehen wir an der Schwelle einer neuen Epoche, der «Humanistisch­ökologischen Moderne», die gänzlich neue urbane Lebensformen mit sich bringt und in der Gärten eine elementare Rolle einnehmen. Nicht nur als klimaverbessernder Entspannungs-­ und neu auch Arbeitsraum, sondern gerade auch in Form von (Mikro­)Nutzgärten. Ermöglichen kann das die Digitalisierung, denn nur sie kann eine sehr hohe lokale Produktivdichte gewährleisten.

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Das Mängelwesen Technik

Just aber die Digitalisierung, die bislang höchste Stufe der Technik, zeigt uns schonungslos, dass nicht nur Menschen mit Mängeln behaftet sind. Kein anderes Werkzeug kann uns so viel Arbeit ab­nehmen und zugleich so viel Zeit stehlen. Laut der Cyborg­Anthropologin Amber Case steht die Tech­nik im Dienst des Menschen: «Wir schaffen Roboter, Handys und andere technische Geräte nach unseren eigenen Bedürfnissen. Sie machen uns funktionaler, produktiver, einfach besser. Die Technik macht uns zu Supermenschen.» Wie super man aber als Mensch sein kann, wenn man Stunden damit zu­bringt, so einen Helfer zu programmieren oder über­haupt erst zum Laufen zu bringen, wenn er uns ständig anpiept, anblinkt und auffordert, ihn nach­zufüllen, aufzuladen, upzudaten oder sonstwie zu betüddeln, und dann trotzdem ausfällt, das weiss auch die Harvard­-Forscherin. Gerade deshalb ihr Plädoyer für eine «Calm Technology». Technologie, so Case, soll wie Elektrizität im Haus funktionieren: Sie soll zwar Teil unseres Lebens sein, sich aber so im Hintergrund halten, dass man sich ihrer nur dann bewusst wird, wenn sie fehlt. Sie soll uns un­terstützen, aber nicht zu einem Problem werden, denn sie lenkt unsere Aufmerksamkeit nur dann auf sich, wenn es wirklich nötig ist. Welch kluge Forde­rung und welch nötige dazu! Insbesondere in Hin­blick auf die immer beliebter werdenden Smart-­Home-­Lösungen, die das Zuhause mitsamt Garten vernetzen und autonom steuern: Kommt ein Gewit­ter, so zieht sich die Sonnenstore zurück, die Regen­wassernutzungsanlage schaltet auf Regenbetrieb und der Mähroboter wird zum Schlummern ins Ka­bäuschen geschickt.

Willkommene Mängel

Hier bleibt es vorerst beim unsmarten Spindel­mäher. Er klackert zwar nicht wirklich geräuscharm und das Mähen mit ihm ist schweisstreibend, aber er tut mir gut. Auch wenn ich motorisiert-digitale Hilfsmittel nun deutlich anders sehe und gewisse davon auch nutze, gebe ich der mechanischen Technik doch den Vorzug. Nicht nur, weil diese von Natur aus «calm» ist, sondern weil ich weiterhin die Hände schmutzig, die Stirn verschwitzt und die Wangen hochrot haben möchte, solange mir das noch möglich ist. Und das ist es, denn: Technik ist dazu da, unsere Mängel auszugleichen, sofern wir das wollen.

Text: Nicole Häfliger, Illustrationen: Kat Menschik

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Kat Menschik ist eine der erfolgreichsten Illustratorinnen Deutschlands. Ihren Strich kennt man aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, ihre Buchillustrationen sind vielfach prämiert.

 

Zum Weiterlesen:

  • Arnold Gehlen: Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt, 1940

  • Amber Case: Calm Technology. Principles and Patterns for Non-Intrusive Design, 2015

  • www.maxthinius.de

Autorin Nicole Häfliger nach getaner Arbeit: «Ist der Schritt zurück zur Mechanik wirklich ein Fortschritt?»

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