7 Fragen an ein Moosmädchen

«Moosmädchen» werden in Japan jene genannt, die auf Wanderungen gehen, um besondere Moose zu entdecken, so wie andere spezielle Tiere beobachten. Das inspirierte die Amerikanerin Sansan Chen zum Namen ihres Instagram-Accounts @mossgirlNY, dem mittlerweile fast 15’000 Moos-Enthusiasten aus der ganzen Welt folgen. 

Interview: Carmen Hocker, Fotos: Sansan Chen

Und wenn Moose träumen, träumen sie wohl vom Regen.
— Robin Wall Kommerer, Das Sammeln von Moos

1. Warum hast Du diesen Standort für Dein Haus gewählt? War es die moosbewachsene Umgebung, in die Du Dich verliebt hast? 
Die Leute fragen oft, ob ich das Moos selbst angepflanzt habe. Aber das habe ich nicht, ich bin nur eine Moospflegerin. Wir haben das Haus gekauft, als es unter einer meterhohen Schneedecke lag, und wir entdeckten die moosbewachsene Landschaft erst richtig, als der Schnee im Frühjahr schmolz. Jetzt ist der Moosgarten mein liebster Teil des Grundstücks und ich kann mir nicht vorstellen, umzuziehen und ihn zurückzulassen.

2. Was sind für Dich wichtige Elemente in einem Moosgarten, wie zum Beispiel eine Steinbank als Ruheplatz?
Ich denke, Moosgärten laden uns auf natürliche Weise dazu ein, langsamer zu werden und die Aussichten und Geräusche um uns herum zu geniessen. Eine Bank zum Ausruhen, das Geräusch von tröpfelndem Wasser, Trittsteine für einen Weg – all das fördert ein Gefühl von Ruhe und Frieden. 

3. Gibt es in Deinem Garten ausser Azaleen noch mehr blühende Pflanzen?  
Grün ist definitiv die dominierende Farbe in unserem Garten. Was wir gepflanzt haben, ist typisch für einen schattigen Waldgarten: Salomonssiegel, Funkien, Farne, Zierlauch, Lenzrosen und Japanischer Ahorn.

4. Was schätzt Du an japanischen, moosbetonten Tempelgärten am meisten?
Ich schätze die sorgfältige Pflege und die Ehrfurcht, die den Moosgärten in japanischen Tempeln entgegengebracht wird – sie sind Perfektion. Ich habe dort Mönche und Gärtner gesehen, die geduldig auf dem Moos sitzen und mit der Hand jäten. Ich mache das selbst auch so und finde es unglaublich meditativ, da sich mein Geist entspannen kann, während meine Finger arbeiten.

5. Du hast geschrieben, dass man so viel von der Gestaltung japanischer Moosgärten lernen kann. Was zum Beispiel?
Ich bin kürzlich nach Kyoto gereist und hatte endlich die Gelegenheit, den Moostempel Saiho-ji zu besuchen – auch bekannt als Kokedera. Der Garten, der von einem Zen-Meister entworfen wurde, ist um einen grossen Teich herum angelegt, der die Form des chinesischen Schriftzeichens für das Wort Herz hat. Auf dem Weg entlang des Teichs kann man die verschiedenen Moose und ihre bevorzugten Lebensräume beobachten. Einige wachsen nur in der Nähe des Wassers, während andere die schattigen Bereiche in höheren Lagen bevorzugen. Es ist schwer zu sagen, ob die Moose an diese Mikroumgebungen angepasst wurden oder ob sie einfach auf natürliche Weise so gewachsen sind, aber es ist faszinierend sie zu beobachten. 

6. Welche Pflanzen musst Du aus dem Moos jäten? Geht es darum, den Moosteppich «sauber» zu halten? 
Moosgärten sehen am besten aus, wenn sie frei von Unkraut sind. Chemische Unkrautvernichtungsmittel, die für Gras verwendet werden, würden das Moos beschädigen, so dass die einzige Möglichkeit darin besteht, sie von Hand zu entfernen.

7. Ich habe gelesen, dass Du verwehte Teile wieder einsetzt. Was ist sonst noch an einem Moosgarten besonders?

Ja, Moose haben keine Wurzeln, weshalb  sie von Wind, Regen und Tieren weggetragen werden können. Ich gehe herum und "flicke" den Moosteppich im Garten, in dem ich Moosstücke wieder sanft festrete. Im Allgemeinen sind Moosgärten sehr pflegeleicht. Sie müssen nicht wöchentlich gemäht werden. Im Herbst wird das Laub weggepustet, und im Frühjahr und Sommer jäten wir gelegentlich Unkraut, wie bereits erwähnt. Die andere wirklich einzigartige Sache ist, dass Moosgärten das ganze Jahr über grün bleiben. Tatsächlich schätze ich unseren Moosgarten am meisten im Winter, wenn alle Rasenflächen der Nachbarn gelb-braun werden, unser Moos aber lebendig und grün bleibt.

Weitere Fakten und Zahlen zur Welt der Moose

Moose werden wegen ihrer kleinen und unscheinbaren Formen oft übersehen, aber sie spielen in Ökosystemen eine wichtige Rolle. Sie helfen dem Wald, Wasserdampf zu binden. Sie kontrollieren Erosion. Sie absorbieren Verschmutzung.Tatsächlich nehmen sie mehr Kohlenstoff auf als Bäume! Sie helfen dem Boden, Nährstoffe und Wasser zu speichern, was wiederum das Wachstum anderer Pflanzen fördert. Diese Moose sind wirklich harte Arbeiter! 

Moose sind alt, über 450 Millionen Jahre alt. Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass sie zu den ersten Landpflanzen gehörten, die sich aus Algen entwickelten, als die Erde noch von Ozeanen bedeckt war. Sie haben die Dinosaurier kommen und gehen sehen. Obwohl Moose eine schattige, feuchte Umgebung bevorzugen, können sie fast überall überleben (ausser an extrem trockenen Orten). Somit sind Moose Pioniere als auch Überlebenskünstler.

Moose sind gesellig. Sie leben in der Regel in Gemeinschaften, und oft findet man viele verschiedene Moosarten an einem Ort. Das enge Zusammenwachsen mit ihren Nachbarn hilft ihnen auch, die Feuchtigkeit zu speichern. Es gibt über 20000 Moosarten, die sich in zwei Haupttypen einteilen lassen: Seitwärts wachsende Moose (Pleurocarps) und solche, die hoch wachsen, sehr hoch für ein Moos (Acrocarps). Versuche, die nächsten Moose, die Du findest, zu kategorisieren! 

Moose haben keine Wurzeln. Sie brauchen sie auch nicht, da sie Feuchtigkeit und Nährstoffe aus der Luft beziehen. Moose, die zu den Bryophyten gehören, haben Sporen anstelle von Samen, Blättern und Stängeln. Mithilfe von Rhizoiden (wie kleine dünne Beinchen) halten sie sich an Erde, Felsen und Bäumen fest. Deshalb können sie überall und auf allem wachsen! 

Moose lieben Wasser. Da sie kein Gefässsystem haben, müssen sie das Wasser wie ein Schwamm aufsaugen, um es festzuhalten. Spagnum-Moos (überall im New Yorker Zofnass-Landschaftsschutzgebiet zu finden) ist eines der besten Beispiele dafür: Es saugt 16-26 Mal so viel Wasser auf wie sein Trockengewicht. Das Geniale an Moosen ist, dass sie wochen- oder sogar monatelang braun, trocken und tot aussehen können und bei regelmässiger und starker Feuchtigkeitszufuhr wieder grün und lebendig werden.

Sansan Chen aka MossgirlNY

«Das Leben im Waldgarten hat mir Frieden und Ehrfurcht geschenkt.»

Die Amerikanerin war schon lange von der Perfektion der Moos-Tempel in Kyoto fasziniert und sie bewunderte die meditative Art, die Moosflächen von Hand vom Beikraut zu befreien. 

Auf ihrem Instagram-Account teilt sie Impressionen und Gedanken zu ihrer Mooswelt.

@mossgirlNY

 

In unserer Juni-Ausgabe 2023 erfährst Du auf den Inspirationsseiten noch mehr darüber, warum Sansan Chen die Schönheit in kleinen Dingen schätzt.

 
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