Honigbienen – die Wilden aus dem Wald
Die Biene gilt als überzüchtetes Nutztier, das sich ohne Hilfe des Menschen nicht mehr alleine in der Natur zurechtfindet. Dieses Bild wird gerade revidiert.
Text: Atlant Bieri, Bilder: Ingo Arndt
Imker und Imkerinnen in Europa halten mehrere Millionen Bienenvölker. Im Schatten dieses riesigen Schwarms an Nutztier-Bienen gibt es jedoch noch eine vergleichsweise kleine Gruppe wildlebender Honigbienen, die in unseren Wäldern heimisch sind. Forschende wie der deutsche Biologe Jürgen Tautz entdecken die Biene in ihrem ursprünglichen Lebensraum gerade neu und verändern damit den Blick auf unsere fleissige Freundin. Im Interview erklärt Tautz, was er und andere Wissenschaftler über sie herausgefunden haben.
Die Honigbiene wird seit Jahrhunderten als Nutztier gehalten. Findet sie sich überhaupt noch alleine in der Wildnis zurecht?
Der Begriff Nutztier ist aus heutiger Sicht falsch. Wir wissen inzwischen, dass die Honigbiene immer ein Wildtier geblieben ist. Sie hat sich in den letzten 30 Millionen Jahren genetisch so gut wie nicht verändert. Anders als bei den Milchkühen, die nicht mehr ohne die menschliche Obhut leben können.
Aber die Honigbiene wurde doch gezielt auf Merkmale wie «Sanftmut» und eine gesteigerte Honigproduktion gezüchtet. Das hat doch sicher Spuren im Erbgut hinterlassen.
Man kann bei Bienen durchaus klassische Züchtung betreiben, so wie man das auch bei Kühen macht, mittels künstlicher Besamung. Dabei können Eigenschaften wie Sanftmut stärker ausgeprägt sein. Aber bei der Biene wird die ganze Züchtung zunichte gemacht, sobald man mit dieser Methode wieder aufhört. Imker, die ihre Bienen sich auf natürliche Weise mit Drohnen verpaaren lassen, bekommen automatisch eine grosse genetische Bandbreite. Das liegt in der Natur der Sache: Die Paarung einer Königin findet hoch in der Luft statt. Dort wird sie von bis zu zwanzig Drohnen begattet. Diese stammen aus ganz verschiedenen Völkern. Den Samen all ihrer Liebhaber trägt die Königin bis an ihr Lebensende mit sich herum und befruchtet mit ihm ihre Eier. Daraus entsteht also ein Volk, das bis zu zwanzig verschiedene Väter hat! Bei einer so grossen Vielfalt an Genen verschwinden jegliche Eigenschaften, die man durch Züchtung herbeigeführt hat.
Warum findet man die meisten Bienen denn in Kästen und nicht in Baumhöhlen?
Das liegt daran, dass die natürlichen Lebensbedingungen in unseren Wäldern schon lange nicht mehr bienenfreundlich sind. Baumhöhlen sind rar geworden. Es fehlt aber auch an Nahrung und auch an Artenvielfalt im Wald. Das ist vor allem in den bewirtschafteten Wäldern der Niederungen so. In Bergwäldern sieht es etwas besser aus.
Wie viele Bienenvölker leben in unseren Wäldern?
Es sind viel mehr, als man vermuten würde. Ich betreue an der Universität Würzburg Benjamin Rutschmann, einen Doktoranden, der mit einem weiteren Doktoranden im Nationalpark Hainich quasi eine Volkszählung gemacht hat. Diese Daten haben sie anschliessend auf ganz Deutschland hochgerechnet und sind auf die erstaunliche Zahl von rund 20000 Bienenvölker gekommen (auf Europa hochgerechnet rund 80000). Das haben wir nicht erwartet. Wir waren total von den Socken.
Wie muss man sich das Bienen-Zählen im Wald vorstellen?
Die Doktoranden haben im Wald Futterplätze eingerichtet und den Bienen dort Zuckerwasser offeriert. Anschliessend haben sie die Bienen verfolgt. Das heisst, sie sind ihnen durch den Wald nachmarschiert, bis sie das Nest erreichten. Die Vorgehensweise ist uralt und als «Bee-Hunting» (engl. für Bienen-Jagd) bekannt. Das ist zwar mühsam, aber es geht. Weiter haben wir auch die Öffentlichkeit eingebunden und sie eingeladen, dass sie uns Fundorte von wilden Bienenstöcken meldet.
Brauchen wildlebende Honigbienen auch Pflege oder schaffen sie es ganz alleine?
Die kommen alleine klar. Es ist allerdings hart. Knapp die Hälfte der Völker überlebt den ersten Winter nicht. Diese gnadenlose natürliche Auslese ist richtig und wichtig. Denn nur die «stärksten» Völker sind perfekt an das Leben in der Wildnis angepasst. Sie sorgen dafür, dass die Art langfristig überlebt.
Inzwischen gibt es in der Schweiz ja auch wieder Imker, die ihre Bienen im Wald halten. Was ist davon zu halten?
Diese so genannte Zeidlerei oder Waldimkerei war im Mittelalter ein enorm wichtiger Beruf. Er war die Vorstufe der Imkerei, wie wir sie heute kennen. Dabei werden die Bienen in ausgehöhlten Baumstammstücken gehalten. Diese haben die Zeidler meist an einen Baum gehängt. Später wurde man bequem und stellte die Baumstämme auf den Boden. Daraus hat sich der Bienenkasten entwickelt. Heute ist das in Russland oder Polen noch verbreitet. In Zentraleuropa hat die Zeidlerei nur eine sehr kleine Bedeutung. Man holt da pro Stock nur ein oder zwei Waben heraus. Das ist sehr wenig Ertrag, aber dafür ist es schonender für die Bienen.
Zurück zu den wildlebenden Völkern: Wovon ernähren die sich?
Ein artenreicher Unterbewuchs mit blühenden Pflanzen im Wald ist wichtig. Das reicht jedoch nicht. Sehr wichtig sind Blattläuse. Diese sitzen auf den Zweigen von Bäumen und saugen deren Saft. Dabei nehmen sie sehr viel Zucker auf, den sie als so genannten «Honigtau» wieder ausscheiden. Die Bienen sammeln diesen ein und verarbeiten ihn zu Waldhonig. Zudem fliegen sie auch aus dem Wald heraus und sammeln auf angrenzenden Wiesen Nektar.
Die Futtersuche ist das eine. Aber wie finden die Bienen in einem grossen Wald eine Wohnhöhle?
Ein neu gebildeter Bienenschwarm hängt sich erst einmal im Freien an einen Ast oder an einen Baumstamm. Von dort aus fliegen nun «Pfadfinderbienen» in alle Richtungen und suchen gezielt nach Baumhöhlen oder einer Felshöhle. Jede Biene, die eine geeignete Behausung entdeckt hat, kommt zurück und zeigt mit dem Schwänzeltanz die grobe Richtung an, in der die neue Behausung liegt.
Aber wie entscheidet sich der ganze Schwarm für die beste aller entdeckten Behausungen?
Die Pfadfinderbienen tanzen umso begeisterter und ausdauernder, je besser die Behausung ist. Das heisst, am Ende tanzt nur noch die Biene, welche die beste Höhle entdeckt hat. Anschliessend muss der Fund überprüft werden. Dazu folgen der Pfadfinderbiene etwa dreissig Arbeiterinnen. Wenn sie auch zum Schluss kommen, dass dies eine gute Unterkunft ist, muss nun der ganze Schwarm motiviert werden, sich dorthin zu bewegen.
Und wie geht das?
Das grosse Problem an einer Schwarmtraube ist, dass die Bienen im Innern von der Kommunikation, die bislang stattgefunden hat, überhaupt nichts mitbekommen haben. Darum beginnen die dreissig Arbeiterinnen, die den Weg kennen, sich in den Schwarm hineinzugraben. Nun geben sie ein sehr leises Piepen von sich. Das heisst so viel wie: «Mach dich startklar!» Jede Biene, die angepiept wurde, erhöht ihre Körpertemperatur. Es dauert nur eine halbe Stunde, bis jede Biene das Piepen einmal gehört hat. Nun ist der ganze Schwarm etwa 35 Grad Celsius warm. Und dann geht er in die Luft. Er explodiert förmlich. Alle Bienen fliegen los und folgen den dreissig Wegbereiterinnen.
Und die finden eine kilometerweit entfernte Höhle in einem Wald voller Bäume nur mithilfe ihrer Augen?
Nein. Die Bienen haben einen fast vergessenen Trick auf Lager. Sie legen – genau wie es die Ameisen machen – eine Duftspur durch den Wald. Als Erstes macht das die Pfadfinderbiene. Dann wird die Spur von den dreissig Arbeiterinnen verstärkt. Die Bienen, die das Ziel bereits kennen, fallen auch durch sehr schnelle Flüge durch die Schwarmwolke auf. Sie führen den Schwarm also optisch und mit Lockduft zum Ziel.