Eine herrschaftliche Blume

Die Chrysantheme

Sie ist ein Sinnbild für den Kaiser. Doch ihre ursprüngliche Heimat ist nicht Japan, sondern China. Dort gilt sie als Botin des Herbstes und als Symbol für ein langes Leben.

Text: Antje Peters-Reimann und Carmen Hocker


Geschichten aus Floras Reich

Manche Blume, mancher Baum begleitet die Menschen schon seit Anbeginn der Zeiten und ist durch die Pflanzensymbolik tief in der Kulturgeschichte verwurzelt. In diesem Buch erzählt die Gartenhistorikerin Antje Peters-Reimann unter anderem auch von der Bedeutung der Chrysantheme. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin dürfen wir das Kapitel «Der Zauber des Herbstes» hier im Blog veröffentlichen.

Antje Peters-Reimann
ISBN 978-3-943322-316
Seiten: 124
Hardcover
Ausstattung: Fadenbindung, durchgehend farbig bebildert

➝ erschienen im Hummelshain-Verlag und ausgezeichnet mit dem Deutschen Gartenbuchpreis 2022.

 

Der Zauber des Herbstes

Chrysanthemen gehören zu den letzten Blumen, die den herbstlichen Garten mit ihren Blüten erfreuen. Dass sie Mitte des 19. Jahrhunderts aus Japan zu uns gelangten, verdanken wir dem schottischen Gärtner und Forschungsreisenden Robert Fortune (1812-1880). In Japan sind die schönen Blumen seit dem 12. Jahrhundert ein Sinnbild für Land und Kaiser, der das Land von seinem «Chrysanthemen-Thron» aus beherrscht. Wegen dieser hohen Symbolkraft war es früher auch dem einfachen Volke verboten, Chrysanthemen im Garten anzupflanzen. Die ursprüngliche Heimat der Chrysantheme ist jedoch nicht Japan, sondern China. Dort gilt sie als Botin des Herbstes und als Symbol für ein langes Leben. Darum ranken sich auch zahlreiche Legenden, die empfehlen, ihre Blüten zu verspeisen, zu betrachten oder in einer Landschaft mit vielen wilden Chrysanthemenblüten zu leben, um in den Genuss eines hohen Alters zu gelangen. Vielleicht aufgrund ihres späten Blütezeitpunktes ist die Chrysantheme ein Symbol des Bestrebens, auch in schwierigen Situationen die Schönheit zu bewahren. Chinesen wie Japaner begehen übrigens am 9. Tag des 9. Monats ein Chrysanthemenfest und in Japan wird der Brauch gepflegt, an diesem Tag aus einer Sake-Schale zu trinken, in der eine Chrysanthemenblüte schwimmt.

 

In unseren Breiten hatte es die weisse Chrysantheme lange Zeit nicht gerade leicht: Da sie als «Friedhofsblume» galt, war sie ausserhalb des Rahmens von Beerdigungen und Totengedenktagen quasi unverkäuflich. So schrieb Rainer Maria Rilke etwa: «Das war der Tag der weissen Chrysanthemen, mir bangte fast vor seiner Pracht.» Doch als die Züchter sich der Pflanze annahmen und auch ungefüllte und pastellfarbene Sorten auf den Markt brachten – und die Chrysanthemen sich damit von ihrem ursprünglichen Aussehen weit entfernt hatten – liessen sie sich endlich unters Volk bringen: Als Ansteckblume bei Bällen, die man sogar zu ihren Ehren eigens veranstaltete, war sie bald «der Renner».

Bei all diesen Züchtungsbemühungen fand man übrigens heraus, dass die Chrysanthemen an Tagen mit vielen Lichtstunden ihre Kraft ins Längenwachstum investieren und erst dann, wenn die Tage wie jetzt wieder kürzer werden, Knospen und daraus schliesslich ihre filigranen Blüten bilden. Indem findige Gärtner ihre Gewächshäuser verdunkelten, ließ sich der Blütezeitpunkt der Chrysanthemen variabel auch auf andere Zeiten im Jahr verlegen, und die ostasiatischen Schönheiten waren nun rund ums Jahr zu haben – getreu der Devise «Chrysanthemum year round». Was für Blüten gärtnerischer Ehrgeiz doch treibt!

 
 

Gegen den Novemberblues

Im naturnahen Garten unserer Videobloggerin Nicole Egloff wachsen viele einheimische Wildstauden. Zwischendurch gibt es aber auch Zuchtformen. Zum Beispiel eine noch namenlose Chrysantheme, die sie aus dem Garten eines Abbruchhauses gerettet hat. Ob sie aus Dankbarkeit so unermüdlich blüht?

 

Paulownias and Chrysanthemums, Sakai Hōitsu (Japanese, 1761–1828), The Cleveland Museum of Art

Ein japanischer Wandschirm

Auf dieser Leinwand setzte Sakai Hōitsu eine Maltechnik ein, die er «Dripping-in» (Tarashikomi) nannte. Tusche und Farbe, die auf die Oberfläche getropft wurden, erzeugen den Effekt von mit Flechten besprenkelter Baumrinde und verschlungenen Chrysanthemenblättern. Paulownia und Chrysantheme sind beide Embleme des japanischen Kaiserhauses. Von Japan aus gelangte die Chrysantheme denn auch nach Europa …

 
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