Naturwiesen
Bienen- und Augenweide
Vor vier Jahren hat Familie Halter in Altstätten SG eine artenarme Wiese in ein herrlich blühendes Artenreich verwandelt, das einheimischen Tieren und Pflanzen eine Lebensgrundlage bietet und das Auge erfreut.
Text und Bilder: Katharina Nüesch
Radfahrer strampeln vom St. Galler Rheintal Richtung Ruppenpass, der von Altstätten nach Trogen im Appenzellerland führt. Die Strasse ist steil und kurvig. Auf halbem Weg liegt «Ziel». Nicht das Ziel der keuchenden Sportler, sondern die Häuser, die diesen Flurnamen tragen und verstreut zwischen Wäldern, Wiesen und Obstbäumen liegen; dazwischen friedliches Kuhglockengebimmel.
Vor dem Gasthaus Ziel bepflanzt Sonja Halter entlang der Strasse gerade einen Kiesstreifen mit Wildpflanzen. Die grossgewachsene Frau mit Lockenkopf legt das «Häckeli» beiseite, während die Stare vom grossen Zuckerahorn beim Haus aufgeregt schimpfen. «Sie haben nicht gern Besuch allzu nahe beim Baum. Der Nachwuchs ist demnächst flügge», sagt Sonja Halter lachend und zeigt auf einen der zeternden Vögel im Geäst. Sie führt ihren Besuch auf die Veranda, die einen atemberaubenden Blick aufs Rheintal und Bergpanorama freigibt. Die Wiese, die gleich unterhalb der Terrasse liegt, ist ebenfalls prächtig: Sie steht in voller Blüte. Die Grillen zirpen über allem derart laut, dass man sich schon fast im Süden wähnt.
Familie Halter führt das «Ziel» hoch über Altstätten seit Generationen. Vor Kurzem ist das alte Gasthaus zurückgebaut worden. An seiner Stelle steht ein nigelnagelneues, baubiologisch einwandfreies Holzhaus mit einer ausladenden Terrasse. Darunter ein grosser, gegen Süden abfallender Nutzgarten, alte Bäume, Hecken, ein Naturteich und die Wiese. Im Gegensatz zu den angrenzenden Flächen, die sattgrün und kurzgemäht sind, steht sie hoch. Bunte Tupfer leuchten im Gras, das im lauen Lüftchen hinund herwogt.
«Meine Grosseltern betrieben neben dem Gasthaus einen Kleinbauernhof und das Land unterhalb des Hauses nutzten sie als Weide», erzählt Sonja Halter. Schon als Kind fühlte sich die Gastrofachfrau stark mit der Natur verbunden. Als ihr zweiter Bub, Gabriel, als Kleinkind an vielen Allergien und Unverträglichkeiten litt, befasste sie sich intensiv mit den Heilkräften von Wildpflanzen und wandte das Gelernte bei Gabriel an. Es wirkte Wunder. Die junge Mutter bewirtschaftet ihren Garten seitdem konsequent biologisch; das Restaurant stellte auf biologische, regionale Küche um.
Vor vier Jahren entschied die Familie, das Wiesland unterhalb des Hauses in eine artenreiche Wiese zu verwandeln. Die von einem Bauern intensiv genutzte Fläche, auf der nur wenige verschiedene Pflanzenarten wuchsen, sollte fortan nicht nur Kühen, sondern einer Vielzahl verschiedener Tierarten Nahrung bieten. «Wir wollten der ausgeräumten Landschaft etwas entgegensetzen», sagt Sonja Halter und deutet auf den verbautenTalboden, den korrigierten Rhein, die Landwirtschaftsflächen, die der Natur wenig Raum lassen.
Wenig Arten, kaum Leben
Rund 90 Prozent der artenreichen Wiesen sind in den letzten 60 Jahren durch Überbauung und intensive Bewirtschaftung verschwunden. Verlierer sind die Pflanzen der artenreichen Blumenwiesen, die sich durch Versamen vermehren. Mit ihnen verschwinden auch viele Tierarten, die keine Nahrung und Unterschlupf mehr finden – Insekten, Kleinsäuger, Amphibien, Vögel. Bekannte Beispiele sind der Kuckuck, der früher überall zu hören war, und der Wiedehopf, der in Streuobstwiesen lebt.
Nur wenige Menschen haben wie Familie Halter die Möglichkeit, eine grosse Wiese anzulegen. Doch selbst auf wenig Raum können einheimische Wildpflanzen wachsen. «Ist der Boden nicht total überdüngt, ist es in jedem Garten möglich, etwas für mehr Artenreichtum zu tun. Auch auf kleinem Raum», sagt Biologe Christian Wiskemann aus Zürich, der Gartenbesitzende und Landwirte berät, die mehr Biodiversität in ihre Flächen bringen wollen. «Zuerst ist das Bild der wachsenden Wiese anstelle des kurzgeschnittenen Rasens vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig. Wer aber etwas Geduld hat, wird belohnt und Freude haben an all den Strukturen, den verschiedenen Wuchshöhen, den Gestaltungsmöglichkeiten. » Zudem können Wiesen in Schach gehalten respektive in Form geschnitten werden, beispielsweise als Streifen oder, wie heute oft anzutreffen, zu einem Rondell. Was stört, wird weggeschnitten. Der Biologe betont, dass einheimische Pflanzen – auch Sträucher und Bäume – im Vergleich zum monotonen Rasen mit Sichtschutzhecke eine enorm positive Auswirkung auf die Biodiversität haben.
Heuduft in der Luft
Bei der Anlage ihrer Wiese erhielt Familie Halter Unterstützung von einem Naturschutzverein. Der Boden wurde mehrfach gefräst und eine standorttypische Wiesensamenmischung ausgebracht. Dank einer optimalen Ausgangslage an einem sonnigen Hang gedeiht sie ausgesprochen gut. Der Bauer, der die heutige «Öko-Wiese» bewirtschaftet, muss Auflagen einhalten. Das bedeutet, dass er die Fläche nicht güllen darf, denn Wildpflanzen mögen keinen zu fetten, sprich stickstoffhaltigen Boden. Mähen darf er erst ab einem vorgegebenen Zeitpunkt, damit die Pflanzen versamen können.
Die Wiese im «Ziel» ist aber auch ein Übungsfeld: Sonja Halter bietet verschiedene Kurse zu einschlägigen Themen an: Wildpflanzen, Wildkräuterküche, Trockenmauern, Wiesenpflege etc. Demnächst streifen Kursteilnehmende durchs hohe Gras und lernen, wie man die Sense schwingt. Das Schnittgut wird liegen bleiben, bis es ganz trocken ist – ein würziger Heuduft liegt dann in der Luft. Sonja Halter streift täglich durch «ihre» Wiese, pflückt Sträusschen fürs Haus und schmückt Teller und Plättli mit Blüten. Sie führt den Besuch in den Garten, in dem die Rhabarber ins Kraut schiessen. Über ein Treppchen geht’s hinunter zur zirpenden Wiese. Ihre beiden Buben Severin und Gabriel haben am Rand ein Zelt aufgestellt. Hier spielen sie gerne und freuen sich an Heupferden, Schmetterlingen und den Blumen. Ein Trampelpfad führt durchs kniehohe Gras. Wie ein luftiger Vorhang stehen die Rispen der Gräser über den Blumen – unter ihnen das feenhafte Zittergras, Goldhafer, Rot- und Wiesenschwingel oder die Aufrechte Trespe.
Bläulinge sitzen auf Skabiosen, auch das Tagpfauenauge lässt sich blicken. Bienen sammeln fleissig Nektar, eine dicke Grille krabbelt am Boden und sucht einen Weg durch all das Gewächs. Sonja Halter schwärmt von den verschiedenen «Arrangements», die sich ihr immer wieder neu offenbaren: Hier eines mit Margeriten, Witwenblumen, Skabiosen und Salbei, dort eine zarte Glockenblume mit der rosafarbenen Kuckuckslichtnelke, auch Labkräuter und Bocksbart mag sie gerne. In den steileren Partien gedeihen Wundklee, Esparsetten, Salbei und Skabiosen-Flockenblumen. «Schöner kann es der Mensch nicht arrangieren», sagt Sonja Halter und man kann dazu nur nicken.
Wiesen für alle
Die Anlage einer grösseren Wiesenfläche ist ein Projekt und die Beratung oder Ausführung durch Fachleute empfehlenswert. Auf kleineren Flächen darf durchaus selbstständig experimentiert werden. Wichtig ist, etwas Geduld zu haben und zu akzeptieren, wenn das Resultat nicht unbedingt auf Anhieb dem «Postkartenidyll» entspricht.
Vorgehen
Eine geeignete, besonnte bis halbschattige Fläche gänzlich von Bewuchs befreien, Grasnarbe abziehen oder bei grösseren Flächen fräsen. Fräsen muss ein- bis zweimal wiederholt werden in Abständen von rund zwei bis drei Wochen. Das Wetter sollte gut sein, damit der gefräste Pflanzenbestand ein paar Tage austrocknen kann. Die Aussaat oder Auspflanzung erfolgt ab Ende April bis Ende Mai.
Direktsaat
Wildblumenwiesen-Samenmischung entsprechend des Standortes (feucht, trocken, schattig, sonnig) auf offenem Boden aussäen. Das Saatgut in der empfohlenen Menge gleichmässig breitwürfig ausbringen. Danach anpressen; nicht zudecken. Walzen oder mit einer Schaufel anklopfen. Keimung nach vier bis acht Wochen, vorerst die Gräser.
Einzelpflanzen/Pflanzenziegel
Für kleinere Flächen oder einzelne Stellen eignen sich Jungpflanzen; Pflanzenwahl entsprechend des Standorts. Schnecken im Auge behalten! Im Handel sind auch «Pflanzenziegel» erhältlich, das sind bereits auf Erde ausgesäte Pflanzenmischungen für verschiedene Standorte, die baldige Blühfreude versprechen.
Pflege und Mähen
Auspflanzungen anfangs von starkwüchsiger Konkurrenz freihalten. Ansaaten nicht düngen, nicht wässern. Im Ansaatjahr – die Wiese sieht dann meist nicht sehr schön aus – sind zwei Schnitte nötig, mit denen die Unkräuter bekämpft werden, sobald der Bestand zirka kniehoch ist (ohne Rücksicht auf blühende Wiesenblumen). Schnitttermin ist Mitte Juni, idealerweise mit der Sense oder mit einem gestielten Heckenschneider, bei kleineren Flächen evtl. Sichel. Das Schnittgut muss mindestens zwei Tage vor Ort getrocknet werden. Ein zweiter Schnitt folgt mindestens acht Wochen später.
Der Artikel über Wildblumenwiesen ist in der Juli/August-Ausgabe 2020 erschienen.