Die Kraft der Wurzeln

Sie sprengen Strassenbelag, wuchern in dunkle Höhlen und ziehen mit enormen Unterdruck Wasser aus dem Boden: über die erstaunliche Kraft der Wurzeln.

Texte: Olaf Bernstein, Bilder: Mauritius Images

Bambus braucht zwingend eine Wurzelsperre

Bambus gegen Beton

Ein weiterer Rekordhalter, allerdings in die umgekehrte Richtung, stellt der Bambus dar. Ohne bremsendes Dickenwachstum schiebt er seine Segmente teleskopartig so fix in die Höhe, dass wir ihm buchstäblich dabei zusehen können. Beim Riesenbambus sind es rekordverdächtige 70 Zentimeter – am Tag! So rasant er in den Himmel wuchert, so geschwind können sich auch seine Wurzeln im Boden ausbilden – immer vorausgesetzt, die Sorte, die wir im Garten haben, gehört zu den hainbildenden Bambusarten (zum Beispiel Phyllostachys). Im Gegensatz zu den horstbildenden Arten (zum Beispiel Fargesia), deren Wurzelwerk sich an einem Fleck bündelt, sind die Rhizome der hainbildenden richtige Langfinger, die sich überall dorthin ausbreiten, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben. Im englischen Sprachraum werden sie passend als «running bamboo», also als «rennender Bambus» bezeichnet. Denn sobald das Halmwachstum im Frühsommer abgeschlossen ist, verlagert der Bambus seine Energie unter Tage. Das Rhizom und nicht die Feinwurzeln, die der Wasseraufnahme dienen, ist in diesen F.llen das Problem. Es kann bis zu zwölf Meter weit reichen. In wärmeren Ländern wie Spanien kann der Bambus durchaus ein Wurzelgeflecht von 20 Metern entwickeln. Die einzige Möglichkeit, das intensive Wachstum auszubremsen, sind Wurzelbarrieren. Die sogenannte Rhizomsperre ist meist aus Kunststoff und wird mindestens 65 Zentimeter tief in der Erde verankert. Oberirdisch ragt sie bis zu zehn Zentimeter über den Boden hinaus. So wird verhindert, dass das Bambusrhizom, das sich im Bereich von bis zu 30 bis 40 Zentimetern Tiefe ausbildet, über die Sperre hinauswachsen oder sie überspringen kann. Dieses «Bambusgefängnis» vereitelt, dass sich die Pflanze unkontrolliert ausbreitet und am Ende Schäden an Fundamenten, Beton oder Rohren anrichtet.

 

Die Wurzeln der Hänge- oder Sandbirke (Betula pendula), die hierzulande häufigste Art, breitet sich vor allem oberflächlich aus.

Oberflächliche Bäume

Dabei ist der Bambus gar nicht der einzige Übeltäter, der in unseren Gärten fest verwurzelt ist. Die Hänge- oder Sandbirke (Betula pendula), die hierzulande häufigste Art, hat ebenfalls ein intensives Geflecht, das sich vor allem oberflächlich ausbreitet. Ihre Horizontalwurzeln reichen im Schnitt drei bis vier Meter weit; sie können in Ausnahmefällen aber bis zu sieben Meter lang werden und dann noch gute drei Meter in die Tiefe abtauchen. Die Gefahr dieser aktiven Wurzeln: Sie gehen immer den Weg des geringsten Widerstandes, um zur Wasserquelle zu gelangen. Das können winzige Brüche gerade in Tonrohren sein oder Störungen in Asphalt- und Betondecken. Das hinzukommende Dickenwachstum der Wurzeln hebt dann Gehwegplatten an oder zerquetscht langsam ganze Wasserleitungen. Bambus und Birke haben allerdings gute Gesellschaft: Weiden (Salix), Pappeln (Populus), Platanen (Platanus) und Schwarzdorn (Prunus spinosa) sind allesamt Flachwurzler, die bei begrenzten Platzverhältnissen eingehegt werden müssen, sollen sie nicht den Garten übernehmen. Beim Geflecht des Schwarzdorns, das zehn Meter Länge erreichen kann, kommen als Schutzvorrichtung sogar Betonringe zum Einsatz.

 
 

Dies ist ein Auszug aus dem Artikel «Die Kraft der Wurzel», der in der Okt./Nov. 2024 des Pflanzenfreunds erschienen ist.

 
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