Methusalem-Gewächse

Bei den Landtieren gehört eine 200-jährige Schildkröte schon zum ältesten Eisen. Darüber können viele Pflanzen und Pilze nur lachen. Diese Folge von «Wusstest Du?» beschäftigt sich mit Zitterpappeln, die Tausende von Jahren alt sind, mit Whiskey-konsumierenden Pilzen und Samen, die sogar eine Eiszeit unbeschadet überstehen.

Texte: Olaf Bernstein, Bilder: Mauritius Images

Arbre du Ténéré

Ein Engelsanteil für den Pilz

Wir alle kennen die Geschichten, wie sich Waschbären, Ratten und Füchse an unsere menschlichen Machenschaften anpassen, um Teil unseres anthropogenen Lebensraumes zu sein. Aber ein Pilz, der Whiskey liebt? Dessen evolutionäre Überlebensstrategie auf der Existenz von Brauereien basiert? Ja, den gibt es. Das bekannteste Beispiel für Baudoinia compniacensis, wie der Pilz fachsprachlich heisst, findet sich in Lincoln County im US-Bundesstaat Tennessee. Der sture schwärzliche Pilz lässt sich auf allen Oberflächen nieder, die sich in der Nähe der weltbekannten «Jack Daniel’s»-Whiskey-Brauereien befinden: Strassenschildern, Häuserwänden und Spielplätzen. Denn er ernährt sich von dem Ethanol, das, auch als «Engelsanteil» bekannt, aus den grobporigen Eichenfässern der Brauerei-Lager verdunstet. Nur, dass der so entschwindende Alkohol eben nicht von den Engeln, sondern von einem Pilz konsumiert wird. Evolutionär eine äusserst sinnvolle Anpassung, denn er hält sich gern da auf, wo sich viel gasförmiger Alkohol in der Luft befindet. Der «Whiskey-Pilz» wurde schon vor Jahrhunderten beschrieben: in der französischen Stadt Cognac – der Heimstatt des weltbekannten Weinbrands.

 

Hat eine Schwäche für Ethanol: Baudoinia compniacensis

Jurassic Park für Pflanzen

Bei diesem unscheinbaren Gewächs mit der weisslichen Blüte handelt es sich strenggenommen nicht um einen pflanzlichen Methusalem – sondern eher um einen Lazarus. Während Letzterer aber dank Jesus von den Toten wiederauferweckt wurde, hat Silene stenophylla ihre Wiederauferstehung dem Institut für Molekulare Biotechnologie an der Universität für Bodenkunde in Wien zu verdanken. Basierend auf einem Verfahren aus dem Jahr 2012 wurde der Pflanzensamen, der 32 000 Jahre im sibirischen Permafrostboden schlummerte, in vitro wieder zum Keimen gebracht. Gefunden wurden die Samen in 38 Meter Tiefe in einem alten Eichhörnchenbau. Anders als beim Klon-Klassiker «Jurassic Park» ist das Leimkraut aber kein gefährlicher Besucher aus der Urzeit – wobei es bei seiner letzten Blüte vermutlich von voreiszeitlichen Wollmammuts beobachtet wurde. Das Wiener Team studiert an dieser widerstandsfähigen Pflanze, wie sich die evolutionäre Entwicklung der gesamten Gattung der Nelkengewächse vollzogen hat.

 

Hat 32 000 Jahre im sibirischen Permafrostboden geschlummert: Silene stenophylla

 

Dies ist ein Auszug aus dem Artikel «Methusalem-Gewächse», der in der Septemberausgabe 2024 des Pflanzenfreunds erschienen ist.

 
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