Totholz

Ein riesiger Lebensraum

In diesem Titel steckt ein Widerspruch, denn Totholz ist voller Leben. Bei flüchtigem Hinsehen sieht man das einem liegenden Ast oder einem Baumstrunk jedoch nicht an. Die rege Tätigkeit der beteiligten Organismen findet zum grossen Teil im Verborgenen statt – im und am Holz.

Text und Skizzen: Ruedi Baeschlin


 

Liegende abgestorbene Bäume dienen zahlreichen Pflan­zen und Tieren als Lebensraum.

 

Was ist Totholz?

Dieser Begriff beschreibt sowohl stehende als auch liegende Bäume. Zudem werden auch abgestorbene Teile von lebenden Bäu­men als Totholz bezeichnet; vom dünnen Zweig bis hin zu dicken Stämmen.

 

Stehende abgestorbene Bäume werden unter anderem zum Bau von Höhlen genutzt.

 

Wie entsteht Totholz?

Das Sterben eines Baumes beginnt oft schon lange vor seinem Tod. In Rissen, Spalten, Taschen und Höhlen schreitet seine Zer­setzung voran. Die Borke ist das äusserlich Sichtbare eines Baumes, sie ist seine schüt­zende Schicht. Wenn dieses Schutzschild verletzt wird, können holzzersetzende Pilze und Bakterien eindringen, und der Zerfall beginnt. Durch die Tätigkeit höhlenbauen­der Vogelarten wie zum Beispiel Schwarz­specht und Buntspecht werden die Zer­setzungsprozesse im Holz verstärkt. For­schungen haben jedoch gezeigt, dass der Schwarzspecht Bäume mit Kernfäulen zur Höhlenanlage bevorzugt und damit Zeiger, nicht Verursacher ist. Während Pilze und Baum im Wurzelbereich erfolgreich zusammenarbeiten (Stichwort Mykorrhiza), stehen Stamm und Äste einer riesigen Zahl von Pilzen gegenüber, die ein erhebliches Gefahrenpotenzial bedeuten. Oft werden die Bäume von mehreren Pilz­arten besiedelt, wenn sich ihnen durch eine oder mehrere Verletzungen der Rinde die Chance dazu bietet.

Der Verfall und seine Etappen

Bis sich das Holz eines Baumes ganz zer­setzt hat, verstreicht sehr viel Zeit. Der Ver­fall des Baumes verläuft in drei Phasen.

  1. Während der Besiedlungsphase sind «handwerkliche» Fähigkeiten gefragt. Insekten wie Borkenkäfer und Holzwespen bohren Löcher und lockern die Rinde. Das erleichtert anderen Insekten den Zugang und macht Pilzen den Weg frei. Diese «Vorarbeit» nutzen Schwarzspecht (Dryocopus martius) und Buntspecht (Picoides major). Das von Pilzen besiedelte Holz ist weicher und kann von ihnen kräftesparender bearbeitet werden.

  2. In der Zersetzungsphase löst sich die Rinde vom Stamm, Zweige und Äste brechen ab, und Pilze dringen immer tiefer ins Holz ein. Sie sind Nahrung für viele Totholzinsekten. Der Ungleiche Holzbohr-Borkenkäfer (Anisandrus dispar) beispielsweise, der auch in Obstbäumen lebt, züchtet Pilze in den Bohrgängen. Der Mutterkäfer pflegt gärtnerisch den Pilz, den er im Magen mitbringt und dann in den Gängen erbricht. Das Tier reguliert die Luftfeuchtigkeit mit Bohrmehlpfropfen. Die nährstoffreichen Enden der Pilze werden von den Junglarven «abgeweidet». Nach sehr vielen Jahren, während derer der Baum sowohl Wohnort als auch Kinderstube war und als Nahrungsquelle diente, fällt er mehr und mehr in sich zusammen. Das Holz verwandelt sich in Mulm, ein lockeres, nährstoffreiches Sediment aus organischem Material.

  3. In der Humifizierungsphase zerkleinern und zersetzen verschiedene Bodenlebewesen wie Würmer, Schnecken, Asseln, Tausendfüsser, Springschwänze und Milben den Mulm. Dann wiederum zerlegen Pilze und Bakterien das zerkleinerte Material weiter in seine Bestandteile. Am Ende bleibt von einem grossen Baum Humus zurück, der Nährboden für nächste Baumgenerationen ist. Totales Recycling! Die Natur demonstriert eindrücklich, dass nichts verschwendet wird, sondern dass alles einer Vielzahl von Pflanzen, Tieren und Pilzen Nahrung bietet. Die Abbauprozesse im Holz sind natürlich abhängig von den Temperaturverhältnissen im Verlauf der Jahre und auch von der Witterung, vor allem von der Feuchtigkeit.

 

Die Riesenholzwespe (Urocerus gigas) ist schon früh, also in der Besiedlungsphase, am Werk. Diese Wespe gehört zu den Insekten, die ihre Eier mit Hilfe eines Bohrstachels ins Holz bringen. Ihr Nachwuchs hinterlässt kreisrunde Löcher in der Baumrinde.

 

Humifizierungsprozess eines dreijährigen Buchenstockes: Der Rindenzylinder zeigt eine sonnenseitige und eine schattige Zone. Neben pflanzlichen Organismen (Moosen, Pilzen) finden wir eine Vielzahl von Tieren: Käfer aus 14 Familien, Zweiflügler-Larven aus 6 Familien, Wanzen aus 2 Familien sowie Springschwänze und Milben. Alle genannten Tiere ernähren sich von sich zersetzenden Pflanzenstoffen und Pilzmaterial oder sind Streu-, Kot- oder Totholzfresser.

 

Zwei Stellvertreter für Totholzproduzenten

Was wie ein Kopfschmuck aussieht, ist kein Geweih, sondern die extrem vergrösserten Oberkiefer (Mandibeln) des «Fliegen-den Hirsches».

Acht Jahre im Verborgenen

Der männliche Hirschkäfer (Lucanus cervus) ist eine imposante Erscheinung. Er hat eine für In­sekten sehr lange Lebensdauer. Allerdings ist die Zeit des erwachsenen Käfers auf vier bis acht Wochen begrenzt. Die Dauer der achtjährigen Ent­wicklung vom Ei über die Larve bis zur Puppe spielt sich im Verborgenen ab. Die kleineren Weib­chen graben sich nach der Kopulation in die Erde; etwa an der Aussenseite von Pfählen, an Wurzeln lebender Bäume oder an Stöcken, die bereits morsch und für die Larvenentwicklung günstig sind. Die Eiablage geschieht in einer Tiefe ab 25 cm. Die Larven ernähren sich von in Zersetzung befindlichem, feuchtem, verpilztem Holz, das sie nach und nach zu Mulm abbauen. Eichen werden als Nährbäume bevorzugt, aber auch Obstbäume kommen in Frage. Ganz anders ernähren sich die erwachsenen Käfer. Für Schröterarten, zu denen auch der Hirschkäfer gehört, ist es typisch, dass sie Baumsäfte aufnehmen, die aus Wunden von Ei­chen und Kastanienbäumen rinnen. Verletzungen entstehen durch Frostrisse, Windbruch oder Blitz­schlag. Die Aufnahme der fliessenden Baumsäfte geschieht durch Lecken. Wunden an den Zweigen können die Tiere auch selbst erzeugen. Die Käfer benötigen Zucker, den sie auch an Obst­bäumen finden, vor allem an wilden Kirschen.

 

An den Bauarbeiten ist die gesamte Biberfamilie ausser den neugeborenen Jungen beteiligt. Die erwach­senen Weibchen wirken aktiver mit als die Männchen. (Zeichnung nach «Die Tiere der Welt, Band 5, Nagetiere und Insektenfresser, Mosaik-Verlag)

 

Baumeister diverser Lebensräume

Unter den Wirbeltieren ist der Biber (Castor fiber) einer der wichtigsten Totholzproduzenten. Er ist reiner Vegetarier. Im Sommer besteht seine Kost vor allem aus Gräsern, Wasserpflanzen, Kräutern, Blättern und Trieben. Im Winter begnügt er sich mit der Rinde von Bäumen und Sträuchern. Dass der Biber ein Meister der Dammbaukunst ist, weiss man schon lange. Als Baumaterial dienen ihm nicht nur Äste und Zweige, sondern auch Steine, Schlamm oder die Stängel von Getreidepflanzen. Durch die eingelagerten Eisenverbindungen in seinen Zähnen sind sie robust und stark genug, um dicke Bäume mit Stämmen bis 60 cm Durch­messer zu fällen. Seine Kaumuskulatur ist zudem sechsmal stärker als bei uns Menschen. Durch die veränderten Strömungsverhältnisse der Gewässer schafft der Biber neue Mikrohabitate, welche viele Fischarten zum Laichen nutzen. Vor dem Damm ist das Wasser tiefer und fliesst langsamer. Mit den zurückgehaltenen Schwebstoffen reichern sich auch Nährstoffe an, die das Wachstum der Unter­wasserpflanzen im Biberteich fördern. Dies lockt Amphibien und andere Tiere an. Durch seinen Dammbau gestaltet der Biber nicht nur das Öko­system massgeblich, sondern verändert auch die Gewässerdynamik. Er unterstützt den Hochwasser­schutz, was im Hinblick auf häufiger auftretenden Starkregen von Bedeutung ist.

 
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