Wertvolle Verbündete mit schlechtem Ruf

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Erwin Meier-Honegger ist Co-Geschäftsleiter der Firma Ernst Meier AG, Gärtner und setzt sich leidenschaftlich für seinen Berufsstand ein. Er ist international in zahlreichen Gremien aktiv und pflegt einen kritischen Blick auf seine Branche. In seinen Artikeln und Kommentaren nimmt er kein Blatt vor den Mund.

«Ich gratuliere dann jeweils und erkläre, dass Schimmel auf der Erde ein positives Zeichen für ein lebendiges und biologisch aktives Erdreich sei...»


Wir Gärtnerinnen und Gärtner sind mit­ verantwortlich, dass der Ruf von Pilzen «im Keller» ist. Unser Pflanzenschutzverhal­ten hat Pilze zu einem Synonym für Krank­heit gemacht. Lediglich pilzfreie Pflanzen und Erden sind «gesund». So zumindest haben wir es den Mitmenschen «eingetrich­tert».

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Ganz alleine Schuld sind wir Gärtnerin­nen und Gärtner jedoch nicht. Wer sich zum Beispiel erkundigt, wie «giftig» Schimmel­pilze an Lebensmitteln sind, vernimmt überwiegend Schauergeschichten. Sie gelten als lebensbedrohende Aggressoren. Dass nirgends empfohlen wird, den ganzen Kühl­schrank zu ersetzen, falls darin ein schimm­liges Lebensmittel entdeckt wird, ist eigent­lich erstaunlich.

Wenn mir nun eine Kundin oder ein Kunde mit vorwurfsvollem Blick die schimmlige Erdoberfläche der bei mir im Geschäft für teures Geld gekauften Pflanze zeigt, bin ich in arger Bedrängnis. Der Vor­wurf der Bedrohung von Leib und Leben hängt in der Luft. Ich gratuliere dann jeweils und erkläre, dass Schimmel auf der Erde ein positives Zeichen für ein lebendiges und biologisch aktives Erdreich sei. Dies löst beim Gegenüber jedoch meist keine Entspannung aus, sondern eher Empörung, die Reklamation nicht ernst zu nehmen.

Im natürlichen Recyclingkreislauf spielen Schimmelpilze eine wesentliche Rolle und sie sind unentbehrlich. Im Wald zersetzen sie Laub und andere abgestorbene organi­sche Stoffe zu Humus, der wiederum Pflan­zen als Nahrung dient. Wenn selbiges im Topf der Pflanze passiert und durch weissen Schimmelrasen an der Erdoberfläche offen­ sichtlich wird, ist das doch ein wunderbarer Beweis, dass die Erde gesund und lebendig ist.

Aber nein; Erde soll steril sein. Denn es ist ja bekannt, dass Schimmelsporen durch die Luft weitertransportiert werden. So­mit könnte sich der Schimmel von der Erde auf Wände, Fugen, Gegenstände oder gar Esswaren verteilen. Und diese Ängste zu entkräften, will mir jeweils kaum gelingen. Noch ärger in Erklärungsnot gerate ich, wenn an einer Pflanze ein Pilz diagnostiziert wurde. Die meisten Menschen sind ob einer solchen Diagnose kaum mehr von einem Chemieeinsatz abzubringen. Wie häufig musste ich im vergangenen Sommer davon abraten, ganze Thujahecken mit Fungiziden zu behandeln, lediglich weil die von den herausfordernden Witterungsbedingungen geplagten Heckenpflanzen punktuell braune Triebe zeigten. Einen Pilzbefall als lästiges, jedoch wertvolles Anzeichen für eine Überforderung zu interpretieren, fällt den meisten Menschen schwer.

Mit Pilzen als Verbündete statt als Gegner umzugehen, muss frisch gelernt werden: «Aha, ein Pilzbefall. Super, nun weiss ich, dass mit der Ernährung oder dem Standort meiner Pflanze etwas nicht stimmt. Und jetzt kann ich mich im Ausschlussverfahren an die Ursachenbekämpfung herantasten.» Möge die Rehabilitierung der Pilze fruchten.

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