König und Mutter

Spitzwegerich – Plantago lanceolata

Text und Illustration: Giovina Nicolai

In älteren Texten findet sich eine Vielzahl an Heilwirkungen und Anwendungen. Dass verschiedene Wegerich-Arten von alters her eine unglaubliche Wertschätzung erhielten, klingt heute noch im Namen Wegerich nach. Er stammt aus dem Althochdeutschen und bedeutet frei interpretiert «König des Weges». Dieselbe Anerkennung steckt auch im Namen «Mutter der Kräuter», welcher aus dem altenglischen «Neunkräutersegen», einem Werk aus dem 10. Jahrhundert, stammt.

Nebst der jahrtausendealten Wertschätzung für diese Pflanze beeindruckt mich auch die lebensstarke Anpassungsfähigkeit des Spitzwegerichs. In einer unberührten Wiese wächst er grossblättrig mit weichen aufgerichteten Blättern. Auf oft begangenen Wegen mit komprimiertem Boden wächst er flach, kompakt und bildet ledrig-stabile Blätter. Auch in frisch ausgetrockneten Flussbecken habe ich ihn bereits unter den ersten Ansiedlern angetroffen.

Ein Toast auf die Mutter der Kräuter, den König des Weges. Auf dass uns diese Pflanze noch lange auf unserem Lebensweg begleiten wird!

 

Spitz-Wegerich gehört in mein Standard-Sortiment gegen Erkältungskrankheiten. Die Blätter zu trocknen bringt den Vorteil, ständig Vorrat zu haben. Der Trockenprozess ist jedoch etwas anspruchsvoller als bei anderen Kräutern. Dauert das Trocknen zu lange, verfärben sich die Blätter schnell bräunlich und verlieren ihre Heilkraft (durch eine Polymerisation der heilkräftigen Iridoide). Die Farbe des getrockneten Gutes ist somit ein relevantes Qualitätsmerkmal.

Glücklicherweise kann Spitz-Wegerich (ausgenommen bei Schnee und gefrorenem Boden) ganzjährig frisch geerntet und als Hustenmittel verwendet werden. Vom Frühling bis zum Herbst die Blätter, vom Spätherbst bis zum Vorfrühling die Wurzeln.

 

Die Blätter als Infus

  • (frisch oder getrocknet) mit heissem Wasser übergiessen und ca. 10 Minuten ziehen lassen.

Die Wurzeln als Dekokt

  • (frisch oder getrocknet) mit heissem Wasser übergiessen und ca. 10 Minuten ziehen lassen.

Der Geschmack von Spitz-Wegerich Tee ist etwas anspruchsvoll, mit seinen schleimig-bitteren Komponenten, die fast etwas salzartig erscheinen. Den abgesiebten Tee mit Honig zu süssen empfiehlt sich.

Den warmen Tee in eine Thermoskanne geben und durch den Tag verteilt, schluckweise trinken.

 
Und du, Wegerich, Mutter der Kräuter, nach Osten geöffnet, im Innern mächtig;
über dir knarrten Wagen, über dir weinten Frauen, über dir schrien Bräute, über dir schnaubten Stiere.
Allen hast du widerstanden, und dich widersetzt;
ebenso widerstehe dem Gift und der Ansteckung und dem Übel, das über das Land fährt.
— Aus dem Neunkräutersegen, ca. 10. Jahrhundert
 

Ein Porträt über Spitz-Wegerich findest Du in der November-Ausgabe 2022.

 

«Pflanzen in ihrem natürlichen Umfeld und mit allen Sinnen kennen zu lernen»…

…ist ein Anliegen von Giovina Nicolai, Drogistin und Galenikerin. Auf ihrer Website Pflanzenlabor in Oberburg (BE) gibt es dazu verschiedene Angebote wie Workshops und monatliche Pflanzenpäckli.

*) Galenik ist die Lehre von der Zusammensetzung und Zubereitung bzw. Herstellung von Arzneimitteln.

 
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