Neue Hecken …

… braucht das Land

Anfangs 2019 gegründet, gelang dem Verein Heckentag Schweiz noch im selben Jahr ein unerwarteter Erfolg: An einem einzigen Tag setzten Freiwillige im ganzen Land 1400 ein­heimische Heckenpflanzen. Seither findet die Aktion jährlich statt, dieses Jahr am 29. Oktober 2022.

Text: Inga Laas | Bilder: zVg

Herbstzeit ist Heckenzeit. Wenn die Tage wieder kürzer werden, ist es Zeit, neue Hecken zu pflanzen.

Initialzündung für die Gründung von Heckentag Schweiz war für Präsident Guido Frey die Entdeckung einer 50 Jahre alten Fotografie, auf der eine Landschaft von unterschiedlichen Hecken geprägt war. Heute ist dieselbe Landschaft ausgeräumt und arm. «Damals beschloss ich, Gegensteuer zu geben, damit an diesem Ort und vielen anderen wieder einheimische Hecken wachsen.» Den Rückgang der Insekten und Vögel zu erleben, alarmierte den Hobby-Imker und gelernten NPO-Manager. Deshalb suchte sich Frey engagierte Fachpersonen, die sein Anliegen teilen und bereit waren mitzuwirken. Gemeinsam gründeten sie im Februar 2019 in Bern den Verein «Heckentag Schweiz».

 

In Gruppen gemeinsam Hecken zu pflegen, bringt nicht nur Gleichgesinnte zusammen, es rückt die einheimische Hecke wieder in unseren Fokus.

Die Heckenlobby

Bäume haben eine Lobby, Blumen haben eine und die meisten Tiere auch. Die einheimische Hecke war offensichtlich nie attraktiv genug. Dabei ist sie ein echtes Multitalent und wer Antwort auf die (stadt)ökologischen Herausforderungen unserer Zeit sucht, begegnet ihr früher oder später: Artenförderung, Bodenbewahrung und Klimaregulator. Ihr im Städte- und Gartenbau mehr Aufmerksamkeit zu schenken, könnte zukunftsweisend sein. Damit hat der Verein den Puls der Zeit getroffen, und seine Ziele sind ambitioniert – weil sie es sein müssen. «Den Heckenbestand in der Schweiz so zu vergrössern, dass Vögel, Bienen und andere Insekten genügend Lebensraum erhalten, ist ein wirklich weit gefasstes Ziel», so Guido Frey, «aber es ist der Ausgangslage geschuldet: Jahr für Jahr müssen wir hinnehmen, dass immer mehr Insekten und Vögel verschwinden und mit ihnen Kleinsäuger und Amphibien. Das wollen wir nicht.» Der Fokus liege weniger auf Quantität als auf der Schaffung möglichst hochwertiger Lebensräume. Zwischenzeitlich hat der Verein 4200 Heckenpflanzen an fast 50 verschiedenen Standorten gepflanzt. Wichtiges Qualitätsmerkmal ist, dass eine Hecke mit einheimischen Pflanzen so geplant wird, dass über möglichst viele Wochen etwas blüht. Was ein Eyecatcher für uns Menschen ist, bietet durch die Vielfalt über lange Zeit Nektar und Pollen für Insekten.

 

Kletterkünstler in der Strauchschicht – die Haselmaus ist eigentlich keine Maus, sondern die kleinste Vertreterin europäischer Bilche. Bild: Mauritius Images

Hoffnung Hecke

Nach einem weiteren Hitzesommer, der mehr existenzielle Fragen als Entspannung brachte, erscheint die Hecke als willkommene, gleichsam einfache wie wundersame Lösung für (fast alle) Herausforderungen, die uns vermutlich alle berührt haben. Hohe Temperaturen. Dürre. Überschwemmungen. Artenschwund. Natürlich werden wir mit Hecken keine Klimakrise und sicher auch die Energiekrise nicht lösen. Und der Artenschwund wird sich allein mit Hecken nicht stoppen lassen. Aber sie weckt doch Hoffnung, die gute einheimische Hecke. Weil wir sie schon so lange kennen. Weil sie eine von uns ist. Die Hecke. Sie verbindet oder grenzt ab. Ist Blickschutz, Blickfang und begegnet uns überall: in Privatgärten, an Bahntrassen und Autobahnen, im Park, Friedhof oder an Fluss- und Bachläufen. Und alle haben wir ein Bild vor Augen, denken wir an Hecken.

 

Für viele Vogelarten wie – zum Beispiel diese Heckenbraunelle – bedeutet eine Hecke Lebensmittelpunkt: Treffpunkt für Balz und Paarung, Nestbau und Brutstätte sowie Übungsfeld und Futterbankett für die Jungvögel. Bild: AdobeStock

Wann ist eine Hecke eine Hecke?

Die Definition einer Hecke ist fliessend, die Landwirtschaftliche Begriffsverordnung hält dazu fest: Als Hecken und Ufergehölze gelten grösstenteils geschlossene, wenige Meter breite Gehölzstreifen, die vorwiegend aus einheimischen und standortgerechten Stauden, Sträuchern und einzelnen Bäumen bestehen. Ein kurzer Seitenblick auf die Etymologie der «Hecke» verrät weiter: Das Stammwort «Hag» klingt in ihrem Namen nach. In der Schweiz bis heute ein Synonym für Zaun oder Einfriedung. «Hag» ist ausserdem auch Stammwort für «Behaglichkeit» oder «hegen» und bestätigt, was die Hecke viele Jahrhunderte war und hoffentlich wieder sein wird: Schutz und Zuhause für viele.

 

Unterschlupf, Trittsteinbiotop, Vernetzungstruktur – das Nutzungsangebot der Hecke für Grosse Wiesel (Mustela erminea) ist vielfältig. Bild: Mauritius Images

Ein Garten ist für uns Menschen das beste Gegenmittel zum Pro­krastinieren.

Das perfekte Wohnkonzept

Eine Hecke ist keine willkürliche Ansammlung von Einzelsträuchern, erst in ihrer Gesamtheit tritt ihre wirkliche Fülle zutage. Der stufige Aufbau der Hecke schafft unterschiedliche klimatische Bedingungen, wie das schattige Dickicht und die sonnigere, luftigere Höhe. Es entstehen verschiedene Mikrolebensräume und Trittsteinbiotope innerhalb einer Gehölzstruktur: Winterschlafplatz des Igels, Verpuppungsort der Raupen, Futterbankett für Jungvögel und ihre Eltern, Nektartankstelle für Bienen und Ansitzwarte für Greifvögel sind nur einige überlebenswichtige Funktionen der Hecke. Sowohl Spezialisten als auch Generalisten finden hier ganzjährig Nahrung in Form von Knospen und Blüten im Frühjahr, Früchten, Blättern und Pflanzensaft im Sommer, gefolgt von Beeren, Nüssen und Sämereien in Herbst und Winter. Die vielfältige Nahrungsgrundlage für alle Entwicklungsstadien der Fauna ist ein besonders positives Merkmal der einheimischen Hecke. Sie ist Treffpunkt für Balz und Paarung, dient als Herberge für Geburt, Brut und Aufzucht der Jungtiere. Auch in ihrem letzten Lebenszyklus ziehen sich viele Kleinsäuger und Vögel in das schützende Dickicht zurück. Nektartankstelle, Pollenlieferant und Raupenfutterstätte – die einheimische Hecke ist für die bedrohte Insektenwelt ein wahres Refugium mit Potenzial, den Artenverlust aufzufangen. Als Vernetzungsstruktur zwischen Wiesen, Ufergehölzen und Wald bietet die Hecke Schutz und Nahrung für Tiere mit kleinem Aktionsradius: Die Haselmaus (Muscardinus avellanarius) vermeidet gar den Kontakt mit dem Boden und bewegt sich bevorzugt in den Ästen. Kleinsäuger wie Feldhase (Lepus europaeus) und Hermelin (Mustela erminea) profitieren von einer Kammerung der Landschaft und Fledermäuse nutzen Hecken als Flug-Leitlinien. In gewisser Weise versinnbildlicht die einheimische Hecke das perfekte Wohnkonzept – verschiedene Spezies aus vielen Generationen teilen sich den Raum.

 

In der offenen Kulturlandschaft ist die einheimische Hecke Vernetzungsstruktur und Leitlinie zugleich. Bild: Monika Gerlach

So viel mehr als Sichtschutz

Bei starken Regenfällen oder Dürreperioden kann wertvoller Ackerboden binnen weniger Tage abgeschwemmt oder vom Wind erodiert werden. Zur Erinnerung: Ein paar Zentimeter fruchtbarer Boden brauchen locker 300 Jahre für ihre Entstehung. Der Verlust kostet uns neben unermesslich hohen Summen unsere wichtigste Grundlage für gesunde Nahrung. Hecken in der Landwirtschaft wieder anzusiedeln bedeutet, den Boden mittels ihres starken Wurzelwerks an Ort und Stelle zu halten. Auch in der Städteplanung können Hecken eine tragende Rolle einnehmen. Als CO2-Speicher und Schattenspender sind sie ebenso unerlässlich wie in ihrer Funktion als Schadstofffilter etwa bei hohem Verkehrsaufkommen. In Hitzeperioden können durch ihr Mikroklima die Temperaturen und der Schadstoffgehalt der Luft besonders in den Ballungszentren gesenkt werden. Bei Hochwasser festigen Hecken die Hänge der Uferböschung und verbessern die Abflusskapazitäten. Eine Zukunft ohne Hecken ist aus ökologischer Sicht für uns eigentlich nicht mehr denkbar.

Sag mir, wo die Hecken sind

Bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Hecken ein fester Bestandteil des Landschaftsbilds. Als Einfriedung und Grenze im Ackerbau schützten sie den Boden vor Wind- und Wassererosion. In Herbst und Winter diente ihr Laubheu als Futter für Tiere und die verbliebene Laubstreu als Einlage für den Stall. Ihre Früchte, Beeren und Nüsse wurden für den Eigenbedarf eingelegt. Der Rückschnitt brachte Holz zum Heizen und Bauen. Mit der Intensivierung der Landwirtschaft wurden Hecken für den modernen Ackerbau des 20. Jahrhunderts als unpraktisch und ineffizient befunden und grossflächig gerodet. Das Landschaftsbild verarmte zur strukturlosen Kulturlandschaft von heute.

Im Privatgarten lässt der zunehmende Wohlstand die Nutzflächen schwinden. Seinen Freizeitwert soll der Garten behalten, aber möglichst wenig Arbeit machen. Früh und reich blühende Sträucher wie Forsythie (Forsythia) und Sommerflieder (Buddleja davidii) sowie immergrüne Exoten wie Thuja (Thuja occidentalis) oder Kirschlorbeer (Prunus laurocerasus) überschwemmen als schnellwüchsige und anspruchslose Hecken immer noch inflationär die Gartenlandschaft. Der invasive Neophyt Kirschlorbeer hat sich mittlerweile durch illegale Schnittgutablagerungen bis in die Wälder ausgebreitet und muss, wie der Sommerflieder auch, kostspielig entfernt werden. So eindrücklich gelb die Forsythie im Frühling blüht, die Blüten der meisten Gartensorten sind steril und damit für die Insekten so unnütz wie eine Tankstelle ohne Benzin. Zum Vergleich:

Der einheimische Wacholder (Juniperus communis) ernährt 43 Vogelarten, der häufig in Gärten gepflanzte Chinesische Wacholder (Juniperus chinensis) dagegen nur eine einzige Art!

In diesem Sommer haben drei Hitzewellen Land und Umwelt stillgelegt. Für Frey und den Verein ein Ansporn, Hecken neu anzulegen, die Öffentlichkeit, Private und Landwirte dafür zu sensibilisieren. Denn auch Frey ist sich sicher, «Hecken werden in der Klimadiskussion in Zukunft an Bedeutung gewinnen». Aktuell will der Verein zwei wichtige Akteure zusammenbringen: Personen mit Landbesitz und Personen, die sich engagieren wollen.

«Wenn das klappt, dann hat das einen kleinen Schneeballeffekt: Wer einmal an einem Heckentag mitmacht, Pflanzlöcher gräbt, setzt, giesst und die Zusammenhänge zu verstehen beginnt, wird der Natur gegenüber achtsamer und aufmerksamer sein», so Frey. Dabei betont er: «Die Mitwirkung der Bevölkerung ist wirklich bemerkenswert und ich hoffe, dass noch viele dazukommen.»

 

Wenn Wissen Schule macht

heckentag.ch bietet der Wildhecke eine Plattform, die wertvolles Wissen bündelt, mit Kursangeboten und Workshops zu Heckenpflege und Schaffung von Kleinstrukturen. Für Schulen stellt der Verein Material zur Verfügung, damit sich Klassen im Fach NMG (Natur, Mensch, Gesellschaft) auf den Heckentag vorbereiten können. Ab der 5. Klasse können Schülerinnen und Schüler tatkräftig beim Pflanzen einer neuen Wildhecke anpacken: Pflanzgut vorbereiten, Löcher graben, setzen und wässern. Das nächste Mal am 29. Oktober 2022, schweizweit. Dabei zu sein, ist eine wunderbare Chance, mehr über Pflege und Nutzen von einheimischen Gehölzen zu lernen, und äusserst heilsam, wenn das Weltgeschehen einen wieder einmal überrollt.

 
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