Mehr Mut zu giftigen Pflanzen

Erwin Meier-Honegger ist Co-Geschäftsleiter der Firma Ernst Meier AG, Gärtner und setzt sich leidenschaftlich für seinen Berufsstand ein. Er ist international in zahlreichen Gremien aktiv und pflegt einen kritischen Blick auf seine Branche. In seinen Artikeln und Kommentaren nimmt er kein Blatt vor den Mund.

 

«Mir persönlich scheint schon die Einteilung von Pflanzen in «gut» und «böse» nach dem Kriterium ihrer Herkunft fraglich.»


Die aktuelle Dynamik zum Schutze der Umwelt scheint mir die Natur als Paradies zu verklären: Gutmütige Insekten sollen in Harmonie mit einheimischen Pflanzen das invasive Dasein der Menschheit ausgleichen. Möglichst alles Fremde oder «Gefährliche» wird auf dem Scheiterhaufen für Störenfriede dem verklärten Anspruch an ein harmonisches Paradies geopfert. Ganz oben auf der Liste sind neben den invasiven, gebietsfremden auch die giftigen Pflanzen. Sie sollen ausgemerzt und verbannt werden, weil sie dem Anspruch an eine gefahrlose Welt widersprechen.

Der dekorative, aber giftige Aronstab trägt knallig rote Beeren.

Der dekorative, aber giftige Aronstab trägt knallig rote Beeren.

Mir persönlich scheint schon die Einteilung von Pflanzen in «gut» und «böse» nach dem Kriterium ihrer Herkunft fraglich. Beim Ausschluss von giftigen Pflanzen bin ich dann jedoch definitiv der Ansicht, dass wir im Begriff sind, ein vermeintliches Paradies wider die Natur zu kreieren. Selbstverständlich geht es um das Wohl von Kindern und Haustieren, wenn nach der Giftigkeit von Pflanzen gefragt wird. Und weil ich beides nicht habe, mögen einige Menschen mein Plädoyer für giftige Pflanzen als Ignoranz gegenüber der anspruchsvollen Fürsorgepflicht interpretieren. Trotzdem erlaube ich mir, den Umgang mit giftigen Pflanzen zur Debatte zu stellen.

Kürzlich glaubte ich mich in eine Filmkomödie aus der «Lümmel»-Reihe zurückversetzt, in welcher der Lehrkörper unter Oberstudiendirektor Dr. Gottlieb Taft von seiner Rasselbande um Pepe Nietnagel schelmisch gepiesackt wird. Ein Hausmeister berichtete mir, dass er um Arbeitsplatz und Reputation fürchten musste, als er vor dem Eingang einer Berufsschule den Wunderbaum (Ricinus communis) als Strukturpflanze zusammen mit dem Sommerflor arrangiert hatte. «Eine giftige, fremdländische Pflanze auf dem Schulareal; der Gipfel der Unvernunft!» Es folgte ein Aufschrei von allen Seiten und er kam sich vor, wie der trottelige Schulpedell Bloch in der erwähnten Filmreihe «Die Lümmel von der ersten Bank», als er die Rizinuspflanzen stante pede wieder ausreissen musste.

Wenn wir Berufsschülerinnen und -schüler vor giftigen Pflanzen schützen müssen, indem wir sie ihnen vorenthalten, scheint mir die Umwelttauglichkeit dieser Generation doch arg infrage gestellt. Auch dürfen wir uns in den meisten Fällen auf die «Fairness» der Natur verlassen. Deren Ziel ist es ja nicht, die Menschheit zu vergiften. Daher sind die meisten Giftpflanzen so stark mit Bitterstoffen versetzt, dass sie von jedem Kind ausgespuckt werden, bevor das Gift schädlich wirken könnte. Zum Beispiel der giftige Aronstab (Arum maculatum): Schon kurz nach dem Verzehr von Aronstab-Bestandteilen brennt es stark im Mund- und Rachenraum.

Ob es sinnvoll war, dass meine Generation als jugendliche Mutprobe die «Schnuderbeeri» der roten Eibenfrüchte ass, ohne ihre giftigen, schwarzen Kerne zu zerbeissen, ist wohl umstritten. Jedoch ist das Bestreben der vollständigen Entkoppelung gegenüber natürlichen Gefahren ebenso fraglich.

 
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Natur 2.0

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