Gamification statt Naturerfahrung?
Erwin Meier-Honegger ist Co-Geschäftsleiter der Firma Ernst Meier AG, Gärtner und setzt sich leidenschaftlich für seinen Berufsstand ein. Er ist international in zahlreichen Gremien aktiv und pflegt einen kritischen Blick auf seine Branche. In seinen Artikeln und Kommentaren nimmt er kein Blatt vor den Mund.
«Mir scheint die Übertragung der Gartenarbeit an die künstliche Gartenintelligenz ähnlich sinnvoll wie eine App, die selbstständig Sudokus oder Kreuzworträtsel löst.»
Vermutlich ist sie, die künstliche Intelligenz, die bessere Autofahrerin. Auch bin ich einverstanden, dass es Sinn macht, ihr die Mobilität der Menschheit dereinst anzuvertrauen. Aber meine Pflanzen werde ich ihr nicht überlassen. Und dies bedeutet nicht, dass ich sie für eine schlechtere Gärtnerin halten würde; wohl eher im Gegenteil. Aber wo liegt der Sinn, die Pflanzenpflege zu digitalisieren?
Natürlich beziehe ich mich dabei nicht auf den technologischen Fortschritt bei der erwerbsmässigen Pflanzenkultur in der Gärtnerei. Auch in meiner eigenen Gärtnerei steuert der Computer seit ich denken mag Lüftung, Schattierung, Heizung und Bewässerung. Wobei die künstliche Intelligenz bis heute noch weitgehend aussen vor bleibt. Es ist die Kompetenz und Erfahrung der Gärtnerinnen und Gärtner, die dem Computer vorgibt, was er zu tun hat. Der Computer bewässert die Kulturen auch ausserhalb der Arbeitszeiten selbstständig. Jedoch steckt nach wie vor ein Mensch den Finger in die Erde, schaut zum Himmel und entscheidet, ob bewässert werden soll oder nicht.
Während meiner Ausbildungszeit am Genfersee hatte ich während meines ersten Sonntagsdienstes dem Fernsehprogramm mehr Beachtung geschenkt als dem Himmel. Bis ich von einer zugeschlagenen Tür aufgeschreckt hinausrannte, wurden die Frühbeetfenster vom Sturm bereits durch die Lüfte getragen. Ein bekehrendes Erlebnis und die beste Erfahrung, um heute Verständnis für die Programmierung der Gewächshaussteuerung zu haben und sich trotzdem nie ganz darauf zu verlassen.
Ganz anders gewisse Gartenenthusiasten, welche sich mit jedem neuen «Smart Gardening Gadget» mehr vom Mitdenken befreit fühlen. Kaum sind Rasenroboter und Bewässerungsanlage mit dem Smartphone verbunden, wird der Garten sich selbst überlassen.
Dem ist jedoch ganz und gar nicht so. Die neuen technischen Errungenschaften entlasten wohl von der Fleissarbeit – jedoch (noch) nicht vom umsichtigen und vorausschauenden Mitdenken. Vielleicht wird Letzteres dereinst tatsächlich von der künstlichen Intelligenz substituiert. Aber wo liegt dann noch der Reiz des Gärtnerns? Mir scheint die Übertragung der Gartenarbeit an die künstliche Gartenintelligenz ähnlich sinnvoll, wie eine App, die selbstständig Sudokus oder Kreuzworträtsel löst. Der Reiz einer solchen «Pseudoproblemlösung» liegt ausschliesslich in der Programmierung und nicht im Nutzen für die Menschheit.
Für mich dienen solche technischen Errungenschaften im Privatbereich ausschliesslich der Gamification. Ein Anglizismus für Spielereien, welche der Motivationssteigerung dienen. Als wenn der Umgang mit der Natur zu wenig herausfordernd oder zu monoton wäre. Ist das Verständnis für die Vielfalt der natürlichen Zusammenhänge für so manchen digitalen Nomaden nicht sogar zu komplex? Aber vielleicht löst genau diese Herausforderung eine Art Versagensangst aus, Angst, im Garten zu scheitern. Dabei ist doch genau dies die wertvollste Erkenntnis im Umgang mit der Natur: Verständnis durch Scheitern. Wie sonst sollen wir uns ein Bewusstsein für die Zusammenhänge und Unberechenbarkeit der Natur erhalten?
In eigener Sache
Für diese und weitere Ausgaben hat uns ein Hersteller seinen Inserateauftrag entzogen. Dies, weil wir uns weigern, ein Inserat zu publizieren, das aus unserer Sicht ein für einen Naturgarten nicht vertretbares Gartengerät bewirbt.
Was ist Deine Meinung dazu? Möchtest Du, dass das Redaktionsteam die Werbung im Magazin auch in Zukunft «kuratiert»? Sollen Inserate abgelehnt werden, welche Produkte bewerben, die nicht den Pflanzenfreund-Grundwerten entsprechen? Oder ist das schon Zensur?
Für ein Magazin, das sowohl von Abonnementeinnahmen als auch von Inseraten lebt, sind solche Sanktionen natürlich einschneidend. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass durch das Kuratieren das Profil des Pflanzenfreundes geschärft wird. Denn wir möchten den Markt ja nicht um eine weitere, profillose Publikation bereichern.
Umso mehr hoffe ich, dass unser Pfanzenfreund für andere Inserentinnen, die den Wert einer differenzierten Werbeplattform erkennen, relevanter wird. Immer im Sinne der Leserschaft und unserem Manifest verpflichtet.
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