Wem gehören die Pflanzen?
Die Sorge mit dem Sortenschutz
Gibt es das Recht, sich einen lebenden Organismus patentieren zu lassen? Diese Frage wird häufig bei gentechnisch veränderten Pflanzen oder Tieren gestellt. Doch erstaunlich oft haben diese ethischen Fragen nicht viel mit Genzüchtungen zu tun – dafür jedoch umso mehr mit Biopiraten, ungenutzter Terminator-Technologie und verbotenen Kartoffeln.
Text: Olaf Bernstein
Sortenschutz: das Patent der Züchter?
Wie ein Patent soll der Sortenschutz zunächst einmal einer Firma oder einer Einzelperson garantieren, dass sie von ihrer Arbeit profitiert – eine neue Sorte zu entwickeln, ist schliesslich aufwändig, und der gesellschaftliche Wert von neuen krankheitsresistenten oder dem Klimawandel angepassten Pflanzen ist hoch. Anders als bei Patenten für Erfinder müssen in der Schweiz beim Sortenschutz vor allem drei Kriterien nachgewiesen werden: Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit. Erst dann dürfen die Züchter das Saatgut lizenzieren und somit an Bauern weiterverkaufen, damit diese es anbauen können. Unterscheidbarkeit heisst: Die neue Sorte muss sich in wenigstens einem Aspekt von allen anderen alten Sorten unterscheiden. Homogenität bedeutet: Der Phänotyp der Pflanzen, also ihr Aussehen, muss einheitlich sein, ein sortengeschützter Weizen muss also immer dieselbe Halmlänge aufweisen. Beständigkeit meint: Auch in den kommenden Pflanzengenerationen müssen die besonderen Merkmale sichtbar bleiben. «Terminator-Gene», welche die gleichmässige Entwicklung der Pflanze in der nächsten Generation unterbrechen, sind nicht gestattet.
Terminator-Technologie
Ein Name wie aus einem Arnold-Schwarzenegger-Film – und kaum weniger dystopisch. Der grösste Kampfbegriff gegen Saatgutkonzerne wie Bayer, Syngenta oder Corteva ist, dass ihr Saatgut angeblich sterile Pflanzen hervorbringt. Bauern sollen das aus diesen Pflanzen gewonnene Saatgut also nicht wieder für den Anbau verwenden können, weil es schlicht nicht keimt. Verantwortlich für diesen Vorwurf sind die «Terminator-Gene». Fachlich ausgedrückt: die «Genetic Use Restriction Technology (GURT)» – und wie ein Gurt soll die so klangvoll übersetzte «Verwendungsbeschränkungstechnologie» Bauern zurückhalten, denn ihr Saatgut keimt nur in der ersten Generation. Das macht die Bauern in der Theorie abhängig von den grossen Konzernen, die sich das neu entwickelte Saatgut haben schützen lassen. Nur: Seit 2006 ist die Verwendung von GURT de facto durch ein Moratorium untersagt, und keine der grossen Saatgutfirmen nutzt die Technik aktuell.
Kapitalistische Kartoffeln
Eine weitere Vorgabe für den Sortenschutz ist ein unverwechselbarer Name. 2004 gab es in Deutschland einen Aufschrei: Die beliebte Kartoffelsorte 'Linda' war vom Markt verschwunden – angeblich wegen plötzlicher Krautfäule und kurz vor dem Ablauf ihres 1974 erteilten Sortenschutzes. Wie Disney bei der Figur Micky Maus hatte der Kartoffelkonzern versucht, sein Copyright zu verlängern, da nach Ablauf des Sortenschutzes jeder die Sorte hätte nachziehen können. Ein Rückzug vom Markt kurz vorher kam also einem Verbot gleich. Nach einem Beschwerdesturm von Konsumenten und Bauern erliess das Bundessortenamt 2010 eine neue Lizenz für Linda – diesmal für alle. Allerdings ist diese mittlerweile zur Randkartoffel verkommen, denn die Kartoffelkonzerne haben ein Quasimonopol am Markt in Deutschland. Doch nicht nur in Europa gibt es Probleme mit dem Sortenschutz.
Biopiraten
Mit «Biopiraten» sind keine ökologischen Freibeuter gemeint: «Biopiraterie» ist ein vom kanadischen Entwicklungshelfer Pat Mooney geprägter und von der indischen Umweltaktivistin Vandana Shiva bekannt gemachter Begriff, der sich analog zur «Produktpiraterie» entwickelt hat. Grosse Saatgut- oder Pharmakonzerne untersuchen dabei beispielsweise traditionelle Nahrungsmittel oder von indigenen Gruppen genutzte Pflanzen, bestimmen das Erbgut oder die gesundheitsfördernden Stoffe darin und lassen diese dann unter Sortenschutz stellen. Für die Menschen vor Ort, die oft seit Generationen um die Heilwirkung der nun geschützten Sorte wissen oder diese als Bauern über Jahrhunderte hinweg angebaut haben, bedeutet das oft den Verlust ihrer Lebensgrundlage, da ein Anbau oder eine Nutzung ohne die Genehmigung der Firma nicht mehr möglich ist. Eine Entschädigung wird meist nicht geleistet, und wenn, dann nur auf der Grundlage von Gerichtsverfahren. So mussten 2006 im Niger Bauern gegen die Firma Tropicasem vorgehen, die ein Sortenzertifikat für die bäuerliche Zwiebelsorte 'Violet de Galmi' (Allium cepa) beantragt hatte. Die für ihren guten Geschmack gelobte lila Zwiebel war von der Firma aber weder gezüchtet noch weiterentwickelt worden, sondern eben eine ganz normale lokale Sorte. Als das bekannt wurde, benannte die Firma ihre Sorte kurzerhand um und versuchte es erneut. Hat ein solcher Sortenraub Erfolg, leidet häufig auch die Biodiversität – denn oft werden gerade Heilpflanzen im grossen Stil wild geerntet oder alte Züchtungen vom Markt verdrängt.
Dieser Artikel ist in der Aprilausgabe 2024 des Pflanzenfreund-Magazins erschienen.