Unliebsame Insekten retten

Der Wespen-Umsiedler

David Hablützel hat eine Schwäche für Tiere, die niemand sonst so richtig mag. Der 42-Jährige ist Imker sowie professioneller Wespen- und Hornissen-Umsiedler. Seit einem Erlebnis, das sein Leben von Grund auf veränderte, setzt er alles daran, die Wertschätzung für die gelb-schwarz gestreiften Fluginsekten zu verbessern. 

Text: Judith Supper, Bilder: David Hablützel


«Wespen und Hornissen retten macht mich glücklich», sagt David Hablützel. Die geretteten Völker siedelt er auf Grundstücken im Thurgau neu an, die teils direkt von den Eigentümern, teils von den Gemeindeverwaltungen zur Verfügung gestellt werden. Er freut sich immer über neue Angebote. «Speziell in der Region St. Gallen suche ich noch.»

 

«Top 10 Scary Wasp Nests That Need To Be Destroyed»: So heisst ein Film auf YouTube, der Anfang März 2022 stattliche 727 111 Aufrufe verzeichnen konnte. Darin zu sehen: Wespennester gross wie Medizinbälle, grösser als Kühlschränke. Aber das ist noch nicht alles. Unter dem Hashtag #waspnest bietet YouTube 252 Videos auf 162 Kanälen. Sie tragen Namen wie «How to kill a wasp nest», «Attacking a giant wasp nest» oder, auf die schlichten Zusammenhänge heruntergebrochen, denn um nichts anderes geht es: «Wasp nest destruction». Immerhin schicken sich diese Tiere an, den Menschen, die Krone der Schöpfung, zu ärgern, zu stechen, zielgerecht töten zu wollen. «Men could die out there!»

Jemandem wie David Hablützel aus dem thurgauischen Schlatt tun solche Filme weh. Vielleicht nicht die Filme als solche, die in ihrer Überspitztheit auch ironisch gelesen werden können. Aber ihn schmerzt die Botschaft, die sie vermitteln: Wespen sind böse, sie sind Killer, sie gehören ausgemerzt, niemand will sie. Denn David weiss es besser. Der 42-Jährige ist einer der wenigen professionellen Wespen- und Hornissen-Umsiedler der Schweiz.

 

Hornissen (Vespa crabro) sind die grössten Echten Wespen, ihre Arbeiterinnen erreichen meist Körperlängen von etwa 20 Millimetern. Sie besitzen sehr scharfe, kräftige Kieferzangen. Diese nutzen sie gerne, um die Rinde von Fliederbäumen, Weiden oder Obstgehölzen anzuknabbern und den austretenden Saft als «Flugbenzin» aufzulecken. Im Fachjargon wird dies als «Ringeln» bezeichnet.

 

«Ich hätte nur gelacht»

Seine Faszination für die Insekten, die niemand sonst so richtig mag, hat 2014 begonnen. Während eines Sonntagsspaziergangs – sie hatten eben einen Bienenstand passiert, wo emsiges Treiben herrschte – erklärte sein damals fünfjähriger Sohn: «Papi, ich hätte gerne ein Bienenhäuschen, ich will eigenen Honig machen.» David war zu dieser Zeit noch IT-Spezialist und in der Sicherheitsbranche tätig und wohl eher ein Tekkie als ein Naturbursche. Von Bienen hatte er keine Ahnung. «Hätte man mir vor zehn Jahren gesagt, ich werde einmal Bienen- und Wespenspezialist, hätte ich nur gelacht.»

Und doch absolvierte er die zweijährige Imkerausbildung. Zu den Wespen gelangte er über Umwege. «Eine Gemeinde hatte mich wegen eines Wespennests kontaktiert. Ich entfernte es, danach ein, zwei weitere. Die Tiere habe ich jeweils abgetötet. Irgendwann fand ich mich in einer Situation, in der ich, den Spray in der Hand, vor einem Nest stand und die Tiere mich anschauten. So, als wollten sie sagen, «Was genau machst du da eigentlich?». Ich wandte mich an einen Wespenberater, der mich ins Thema Umsiedlungen ohne Gift einführte. Seitdem biete ich Bienen-, Wespen- und Hornissenumsiedlungen professionell an.»

 

Dieses Hornissen-Nest wurde auf einem Kinderspielplatz entdeckt. «Nachdem wir die Anwohner aufgeklärt hatten, haben wir den Spielplatz abgesperrt. Es wurde eine Kamera installiert, so dass die ganze Nachbarschaft online das Treiben im Nest verfolgen konnte», so David.

 

Dann hat es klick gemacht

Was diese radikale Wende von der Hardware zum lebendigen Wesen initiierte, kann er nicht sagen. Irgendwie hat es aber mit einem Ereignis zu tun, das sich vor dem Sonntagsspaziergang mit dem Sohn ereignet hatte. Während einer Skitour in Bergün wäre er fast gestorben. «Ohne meine Kollegen», erzählt David, «wäre ich jetzt tot.» Er war an der Grippe erkrankt, ganz auskuriert war der Infekt noch nicht. Die körperliche Belastung des Aufstiegs erwies sich als zu gross. «Mein Körper hat keinen Zucker mehr hergestellt, nur noch Insulin. Die Rega musste mich retten.» Er habe regelrecht neben sich gestanden, als der Helikopter landete, «ganz weit weg» sei er gewesen. «Da hat es klick gemacht.» Auf die Frage, ob ihm die Wespen eine Art Lebenssinn geben, zuckt er die Achseln. «Das kann ich nicht beantworten. Ich weiss nur, dass die Arbeit mit ihnen Spass macht, dass die Familie dahintersteht und dass die Leute, die ich betreue, Freude haben. Den Menschen aufzuzeigen, dass es Alternativen zum Töten der Tiere gibt, macht mich glücklich. Denn Wespen und Hornissen sind nicht nur wunderschön, sie sind unersetzlich.»

 

Ein Bienenschwarm ist nicht gefährlich – hier versammeln sie sich.

 

Hornissen, Wespen, der Weisse Hai

Im Gegensatz zu den pelzigen Honigbienchen sind Wespen und Hornissen keine Sympathieträger. Die meisten Menschen reagieren panisch auf sie. Man erschlägt und bekämpft sie und zerstört ihre Nester. Dabei haben die Insekten als Bestäuberinnen und Schädlingsjägerinnen eine bedeutsame Rolle. «Es sind ihre gelb-braunen Streifen», sagt David. «Damit verbinden die Menschen Gefahr.» Ihr schlechtes Renommee teilen sie mit einem anderen Lebewesen, das für sein eigenes Ökosystem ähnlich unersetzlich ist, nämlich dem Weissen Hai – auch wenn dessen Killer-Image auf einen Hollywoodfilm zurückgeht. Grundsätzlich sind Wespen und Hornissen sehr friedliebende Tiere. Erst wenn sie sich bedroht fühlen, wehren sie sich. «Nur Wenige wissen: Der Stich einer Honigbiene ist deutlich giftiger, denn wenn sie zusticht, entleert sich die Giftblase vollständig.»

David kann verstehen, dass die Leute kopflos reagieren, wenn im Wohnzimmer ein Wespenvolk wilde Flugmanöver veranstaltet. Dann rückt er an, in Schutzkleidung, mit Fangbox und Sauger ausgerüstet. Aufklärungsarbeit zu leisten, ist sein Hauptjob. «Feldwespen beispielsweise sind völlig harmlos. Von einem Wespen- oder Hornissennest im Garten geht meist keine Gefahr aus, es braucht bloss etwas Toleranz der Besitzer.» Befindet sich das Nest jedoch im Hausinneren, ist ein Kindergarten in der Nähe oder meldet sich ein Allergiker, ist Handeln angesagt.

 

Ein Bienenvolk, das sich an einem nicht geeigneten Nistplatz ansiedelt, kann nicht umgesiedelt werden. «Ein Imker muss die Waben kontrollieren können, vor allem in punkto Seuchengefahr. Bei einem Volk wie diesem kann er es nicht», sagt David Hablützel.

 

Gestochen wurde er schon oft

Nicht mit den Händen fuchteln, nicht anblasen, nicht zu nahe herantreten. Nicht mit irgendwelchen Sprays besprühen: Das sind die grundsätzlichen Verhaltensregeln im Umgang mit Wespen. Wirklich gefährlich können eigentlich nur zwei Arten werden, die Gemeine und die Deutsche Wespe. Finden die Tiere nicht genug Nahrung in der Natur, weichen sie auf die Speisen und Getränke des Menschen aus. Und je mehr Lebensräume zerstört werden, desto häufiger erfolgen diese Ausweichmanöver. Als Resultat darf man auf 162 YouTube-Kanälen erfahren, wie sich ein Wespennest am effektivsten zerstören lässt. Dabei kennt David Hablützel eine einfache Lösung. «Sät Wildblumen aus, sodass die Tiere Nahrung finden. Und lasst die automatischen Rasenmäher weg.»

Natürlich wurde David Hablützel während seiner Arbeit schon gestochen. So oft, dass er das Mitzählen aufgegeben hat. Aber eines weiss er ganz genau: Weder Wespen noch Hornissen sind böse. Sie sind keine Killer, sie auszumerzen wäre ein so grosser Verlust für die Biodiversität, dass er kaum noch zu kitten wäre, und dass sie niemand will, ist schlicht nicht wahr. Seine Kinder, der Sohn ist heute 13, die Tochter 10, haben das verstanden. Leon will Wissenschaftler werden, Lucy ist in ihrer Schule als Bienenexpertin bekannt, weil sie weiss, wie sich die Tiere verhalten und wie sich der Mensch ihnen gegenüber verhalten sollte – Wespen und Hornissen inbegriffen.

 
 

EIN KLEINES WESPEN-EINMALEINS

Die neun bei uns heimischen, staatenbildenden Wespenarten gehören zur Familie der Faltenwespen. Nur zwei werden von menschlichen Nahrungsmitteln angelockt: die Deutsche Wespe und die Gemeine Wespe. Alle anderen Arten – auch die zu Unrecht gefürchtete Hornisse – zeigen an Grillgut oder Konfitüre kein Interesse. Sie leben in Staaten, die nur einen Sommer überdauern. Im Frühjahr beginnt ein einzelnes Weibchen – die Königin – mit dem Nestbau. Je nach Art nutzt sie dafür Hohlräume, Erdlöcher, Baumhöhlen oder Sträucher und Bäume. Ihre Nester errichten sie aus Fasern, die sie von totem Holz abnagen und mit Speichel zu einem Cellulosebrei vermischen. Da Nistplätze in der Natur immer seltener werden, müssen die Tiere manchmal mit Dachböden, Vogelnistkästen oder Geräteschuppen vorliebnehmen.

Quelle: Bayerisches Landesamt für Umwelt 2015

 

Das Porträt über David Hablützel ist in der Mai-Ausgabe 2022 erschienen.

 

22 Tipps zum gedeihlichen Miteinander findest Du auf der Website des deutschen Naturschutzbundes NABU.

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