Der Gärtnerei ist die Kunst abhanden gekommen

Erwin Meier-Honegger ist Co-Geschäftsleiter der Firma Ernst Meier AG, Gärtner und setzt sich leidenschaftlich für seinen Berufsstand ein. Er ist international in zahlreichen Gremien aktiv und pflegt einen kritischen Blick auf seine Branche. In seinen Artikeln und Kommentaren nimmt er kein Blatt vor den Mund.

 

«Wie schön wäre es, wenn wir Gärtnerinnen und Gärtner uns wieder mehr als Künstlerinnen und Künstler verstünden, mit dem Auftrag, Menschen (mit Pflanzen) zu vergnügen.»


Die Begleiterscheinungen der Massenproduktion haben auch aus vielen Gärtnereien menschenleere Hightech-Produktionsstätten werden lassen. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass ein Teil der Wertschätzung gegenüber der gärtnerischen Pflanzenkultur verloren gegangen ist. Mit der industrialisierten Kultivierung von Pflanzen ist irgendwann auch eine gewisse Kultiviertheit der Gärtnerschaft verloren gegangen. Es scheint mir dadurch tatsächlich ein Kulturwandel stattgefunden zu haben.

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Für diesen Befund denke ich zurück an das «Kunstgärtnertum» des 19. Jahrhunderts. Auch das Familienunternehmen, das meine Schwester und ich heute zusammen in der vierten Generation führen, trug in der Gründerzeit die damals verbreitete Bezeichnung «Kunst- und Handelsgärtnerei». Darin spiegelt sich ein gewisser Stolz auf die Fähigkeit wider, die damals wertgeschätzte Vielfalt an Pflanzen liefern zu können. Über die vergangenen Jahre ist diese Vielfalt selbstverständlich geworden. Heute ist sie sogar eher verpönt, wenn man an die Diskussionen um die Rolle fremder Pflanzen gegenüber einheimischen denkt.

Erhalten geblieben ist der zweite Fokus, die Tätigkeit der Handelsgärtnerei. Auch das Familienunternehmen Ernst Meier AG konnte sich der Entwicklung vom bescheidenen Gewerbebetrieb hin zum renommierten, europaweit vernetzten Handelsunternehmen nicht entziehen. Es ist jedoch mein erklärtes Ziel, trotz (unternehmerischem) Wachstum, unsere (gärtnerische) Kultiviertheit nicht zu verlieren. Das wichtigste Element dabei ist wohl die Kultur der Mitarbeitenden.

Gemäss der Dissertation von Claudia Moll Simon war dies auch der Ursprung des «Kunstgärtnertums». In ihrem Werk mit dem Titel «An den Wurzeln der Profession» (ETH Zürich 2015, Nr. 22991) beschreibt sie die Anfänge des Kunstgärtnertums. «Die Bezeichnung ‹Kunstgärtner› taucht erstmals 1794 im Zusammenhang mit der Forderung nach einer höheren Ausbildungsmöglichkeit für Gärtner auf. Es handelte sich somit um eine Wortschöpfung, die im Zuge der Entwicklung und Diversifizierung des Gärtnerberufs entstand. Sie hatte den Zweck, besser ausgebildete Gärtner, die sich der Kultur oder Zucht von Zierpflanzen und/oder der Anlage von Gärten widmeten, von solchen abzugrenzen, die sich mit dem Anbau von Nutzpflanzen und/oder dem Unterhalt von Gärten beschäftigten. So wird der ‹Kunstgärtner› im 1796 in Leipzig erschienenen grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart dann auch beschrieben als ‹ein Gärtner, welcher bey Ausübung seiner Kunst vornehmlich auf das Vergnügen der Menschen stehet; zum Unterschiede von einem gemeinen Gärtner, welcher auch Kohlgärtner, Krautgärtner, Obstgärtner u.s.f. genannt wird›».

Wie schön wäre es, wenn wir Gärtnerinnen und Gärtner uns wieder mehr als Künstlerinnen und Künstler verstünden, mit dem Auftrag, Menschen (mit Pflanzen) zu vergnügen. Vielleicht würde dies helfen, dass der handwerklich kultivierten Pflanzenvielfalt vonseiten der Konsumentinnen und Konsumenten wieder mehr Wertschätzung entgegengebracht würde. Wenn wir Gärtnerinnen und Gärtner die gefühlte Abwertung beklagen, müssen wir uns wohl zuerst selber «an die eigene Nase fassen».

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