Wo die Monsterkürbisse wachsen

Blumen, Kohl & Rock ’n’ Roll

Der obige Titel ist zugleich ihr Motto, und bis vor kurzem hätten sie es sich kaum vorstellen können, vom Bloggen über einen Garten zu leben. Seit über zehn Jahren füttert Anja Klein mit Texten, Andreas Lauermann mit Bildern ihren Blog «Der kleine Horrorgarten». Dabei gewähren sie Einblicke in gärtnerische Erfolge und gärtnerisches Scheitern. Auf Instagram folgen ihnen mehr als 110 000 Menschen. Aber Anja Klein träumt grösser.

Text: Judith Supper, Bilder: Andreas Lauermann


Andreas Lauermann und Anja Klein

In unserem Podcast begleitet Bettina Walch von Plan Biodivers Anja Klein auf einer Reise durchs Hochbeet, wo hinter der Brombeerhecke Wurmtee zur Pflanzendüngung aufbereitet wird, grüne Halsbandsittiche Partys sprengen und in lauen Juninächten die Glühwürmchen tanzen.

 

An drei Ampeln müssen Anja Klein und Andreas Lauermann vorbeiradeln, um zu den Zucchinis zu gelangen. Früher waren es mehr, nämlich 40. Denn vor 13 Jahren tauschten sie den Eigenanbau-Gemüseacker vor den Toren Kölns gegen den drei Ampeln entfernten Schrebergarten. Dieses Stück Land ist als «der kleine Horrorgarten» bekannt. Per Januar 2024 hatte er über 110 000 Follower auf Instagram, der gleichnamige Blog verzeichnet in der Saison monatliche Aufrufzahlen von rund 200 000.

Horrorgarten, das entspricht ganz Anjas Sinn für Humor. Da passt es ins Bild, dass sie auf vielen PR-Fotos vornehmlich dunkel bekleidet und mit runder schwarzer Sonnenbrille ausgerüstet ist. Damit könnte sie die Kleingartenschwester von Ozzy Osbourne sein. Wenn ein legendärer Rockmusiker, der auf der Bühne schon mal einer Fledermaus den Kopf abbeisst, auf des Deutschen liebstes Feld der Abschottung und planbaren Utopie trifft, ist Spannung angesagt.

Genau diesen Spannungsbogen bedienen Anja und Andreas. Und das alles biologisch, insektenfreundlich und mit Augenzwinkern.

IM DEZEMBER: GARSTIG

Den kleinen Horrorgarten im Dezember zu besuchen, ist eine blöde Idee. Das Wetter ist garstig. Anja und Andreas empfangen die Journalistin in Regenklamotten an der Bushaltestelle Alzeyer Strasse im Kölner Stadtteil Nippes. Ein forscher Wind bläst, für später ist Regen angesagt.

Insgesamt 660 m² Gartenfläche stehen Anja und Andreas im Kleingartenareal zu Verfügung. Um zu inspirieren, zu lehren, zu lernen – und um manchmal zu scheitern. All das packen sie im Blog und via Posts in eine informative, kunterbunte und sehr vergnügliche Sprache. Wie Alte Gartenerde aufpimpen? Warum gedeihen Süsskartoffeln in der Tonne am besten? Wie verhindern, dass die Hochbeet-Erde absackt? «Natur ist wild, ist unordentlich, ist übergriffig», schreibt Anja auf Instagram. «Lässt sich nur kurz und mit einigem Aufwand bändigen. Auch wenn ich als Gärtnerin immer wieder ordnend eingreife, sind es doch eigentlich die Pflanzen, die sagen, wo es langgeht, die Rhythmus und Richtung vorgeben. Die sich jetzt nicht nur in mein Herz, sondern auch unter meine Haut geschlichen haben.»

 

In Anjas Vorgarten geht es bunt und ein bisschen wild zu.

Bei Andreas wächst dafür das Gemüse schön ordentlich in Rahmenbeeten.

 

DANN SEHE ICH ETWAS SCHÖNES

Der Horrorgarten ist Dreh- und Angelpunkt im Leben von Anja und Andreas. Hier wühlen sie in der Erde, schreiben Bücher, fertigen Filme an. Hier treten sie mit Menschen in Kontakt, die sich für die Natur und Pflanzen begeistern. Das passiert virtuell, aber auch real am Gartenzaun. Sie erinnere sich an eine Frau mit kompliziertem Fussbruch, erzählt Anja. Anfangs habe sie der Sohn im Rollstuhl am Garten vorbeigeschoben. Später hätten sie sie auf Krücken gesehen. «Es tut zwar weh, aber ich muss laufen», habe sie gemeint. Das Ziel ihrer täglichen Lauftrainings sei Anjas und Andreas’ Garten gewesen. Jeden Tag hier vorbeizugehen, sei ihre Motivation gewesen: «Dann sehe ich etwas Schönes.»

Anja Klein ist eine Macherin. Vier Gartenbücher hat sie bereits geschrieben, das fünfte erschien diesen Januar, «Kleiner Garten – so viel drin». Während der Gartensaison gibt sie einmal im Monat im WDR Tipps zur Gartenpflege. Auch im Pflanzenfreund ist künftig von ihr zu lesen: Seit März ist sie für die Gartentipps zuständig.

Anja liebt Gärten, schon immer eigentlich. Verantwortlich für ihre Gartenliebe sei ihre Ruftante (eine Frau, die man Tante nennt, obwohl sie nicht mit einem verwandt ist, Anm. d. Red.) gewesen, «eine kinderlose Frau, die gegenüber wohnte. Sie hatte einen Schrebergarten und brachte mir vieles bei – zum Beispiel, wie man Feldsalat aus den Wiesen sticht oder Hagebutten sammelt.» Eine frühe Fotografie zeigt Anja als Zweijährige im Garten dieser Tante. «Auch die Familie meiner Mutter, sie kam aus Ostpreussen, hatte einen Gartenbezug. Meine Oma hielt Gänse und Hühner und war ständig mit Einmachen beschäftigt. Sie baute Kartoffeln an. Ich half ihr, die Kartoffelkäfer abzulesen, für jeden bekam ich einen Pfennig und habe damit mein Sparschwein gefüllt.»

 

Gemüse für den Bauch, Blumen für das Herz, beides hat einen Platz im kleinen Horrorgarten.

 

DREI KINDER, KEINE ERKENNBAREN MACKEN

Anja zog vor 26 Jahren aus der Pfalz nach Köln, Andreas lebt seit 30 Jahren hier. Über eine gemeinsame Arbeitskollegin beziehungsweise Nachbarin hatten sie sich kennengelernt. Die Kollegin hatte Andreas mit «drei Kinder, keine erkennbaren Macken» beworben – es musste Schicksal gewesen sein. Das war 2007. Damals war Andreas als Fotograf auf Architektur spezialisiert, Anja arbeitete als Ingenieurin in der Lebensmitteltechnologie. Sie war 42, er 44. In die Beziehung brachten sie vier Kinder mit.

Aus dem zaghaften Nieselregen ist ein forscher Dauerguss geworden, als Anja zur Gartentour einlädt. «Als ich den Garten übernommen habe, lange vor Corona und dem Schrebergarten-Hype, gab es hier nur ein paar Obstbäume und die Hütte», erzählt sie. «Dazu eine Rasenfläche mit zwei Rhododendren und einen hölzernen Zierbrunnen. Und eine Hecke, die den Garten blickdicht umschloss.» Als gelernte Bauzeichnerin wollte sie kreisförmige Elemente als Gegenpart zu den quadratischen Elementen schaffen. «Und die Rhododendren habe ich gleich rausgerissen, sie standen völlig falsch.»

 
 

VIEL ZU SPIESSIG, FAND ANDREAS

Um einen Schrebergarten in die Beziehung einzubringen, dafür musste sie Ressentiments abbauen. Denn Andreas fand: viel zu spiessig. Ein 40 Ampeln entferntes Gemüsefeld war gerade noch okay. «Aber der Weg war schon sehr lang, um eine einzige Zucchini zu ernten», findet Anja.

Heute besteht der Horrorgarten aus zwei Gärten, die vormals durch einen Zaun getrennt waren. 2019 pachtete Andreas, Jahre zuvor der Schrebergartenidee komplett abgeneigt, den Nachbargarten. So eröffneten sich unzählige Möglichkeiten, um sich kreativ-gestalterisch auszutoben. Hinzu kam, dass Anja seit 2014 imkert. Wegen der Bienen – immerhin haben sie potenziell gefährliche Stacheln – kam es immer wieder zu Diskussionen in der Kleingartensiedlung. «Klar, wenn meine Bienen im Sommer ausschwirren, ist einiges los. Jetzt, mit den zwei Grundstücken, sehen die Nachbarn die Bienen kaum noch und haben weniger Panik. Sie fühlen sich sicherer.»

 
 
 

DAS SCHEITERN LIEBEN LERNEN

Im kleinen Horrorgarten lässt sich alles entdecken, was einen vielfältigen Garten ausmacht. Rosen, essbare, duftende Pflanzen, eine Kräuterspirale, ein Kompostbeet, inspiriert durch afrikanische Keyhole-Beete. Eine Feuerstelle umfasst von Feigen-, Heidelbeer-, Johannis- und Himbeersträuchern, dazwischen Wildblumenwiesen. Komposttoilette, Sträucher, Nistkästen, Bienenhotels, Holzhaufen und Hochbeete. Ebenso Gemüse in Hülle und Fülle.

Auch wenn es auf dem Blog sowie auf Instagram nur so von Bildern strotzt, die knackige Tomaten oder kräftig grüne Salatblätter zeigen, sicher sei die Ernte nie. Hier kommt das Scheitern ins Spiel. «Vorletztes Jahr hatten wir wunderbaren Chinakohl, letztes Jahr hat er gar nicht funktioniert», erzählt die Bloggerin. Nicht immer gebe es dazu eine Erklärung. «Gärtnern heisst auch, Scheitern zu lernen. Oder Scheitern lieben zu lernen.»

 

Gemüse satt – im Sommer versorgen sich die beiden Horrorgärtner komplett aus ihrem Garten und für Freunde bleibt auch noch etwas übrig.

 

AUDREY UND DIE MONSTER-ZUCCHINI

Kommt daher der Name «kleiner Horrorgarten? Vom Scheitern? «Nein», sagt Anja. «Da steckt Audrey dahinter.» Audrey ist eine fleischfressende Pflanze, die durch das Musical «Der kleine Horrorladen» berühmt wurde. Audreys Blutdurst fallen im Laufe der Geschichte mehrere Menschen zum Opfer. 1987 verfilmte Frank Oz den Stoff als Gruselfilmparodie. Aber weil nur wenige den Film kennen, erzählen Anja und Andreas lieber eine andere Geschichte, wie der Garten zu seinem Namen kam. «In einem Sommer», schildert Andreas, «konnten wir unseren Gemüseacker drei Wochen lang nicht pflegen. Als wir zurückkamen, war er von riesigen Monster-Zucchini und Horror-Kürbissen überwuchert.» «Aber anstatt dass wir vom Monster-Gemüse gefressen wurden, mussten wir alles selber essen, sehr zum Missfallen der damals halbwüchsigen Kinder», erzählt Anja.

Den Menschen den Horror vom Gärtnern nehmen, das ist das erklärte Ziel von Fotograf und Bloggerin. «Deswegen lautet unser Motto: Blumenkohl & Rock ’n’ Roll. Bei Rock ’n’ Roll habe ich etwas sehr Sinnliches, etwas sehr Lebendiges im Sinn. Etwas, das mich erfüllt und Spass macht. Dieses Lebensgefühl wollen wir vermitteln.» Aber Anja träumt noch weiter. «Es wäre cool, eine eigene Gartensendung zu haben. Ich finde, Deutschland braucht unbedingt eine Monty Donna.» Das wäre die weibliche Version des populären englischen Garten-Fernsehmoderators Monty Don. Oder vielleicht ein eigener Garten auf der Chelsea Flower Show? Anja lacht. «Dream big!», sagt sie.

 

Das Porträt über Anja und Andreas ist in der März-Ausgabe 2024 erschienen. Hier entlang zu ihrem Blog: der kleine Horrorgarten.

 
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