Geduld bringt Moose
Moosbewachsene Böden unter wogenden knorrigen Bäumen, von Flechten überzogene Marmorfiguren und algengrün gefärbte Ziehbrunnen … märchenhaften Sehnsuchtsorten gleich verströmen diese Bilder eine unberührte Ruhe, die nicht nur Schriftsteller in ihren Bann zieht. Geschuldet ist dies unseren drei Hauptdarstellern dieses Monats, die für einmal nicht mit Blüten betören, sondern mit ihrer geduldigen Langsamkeit. Denn die hat Seltenheitswert – schon zu Kafkas Zeiten.
Texte: Nicole Häfliger
Wider den Verfall
So sehr der scheinbare Stillstand der Zeit die einen verzaubert, so schnell steigen bei anderen diffuse Ängste hoch vor der Schattenseite des Alters: dem Verfall. Undenkbar, dem Gedeihen von Moos, Flechten und Algen untätig zuzusehen, geht damit doch unweigerlich Verwahrlosung einher. Wie gut, lassen sich diese Ängste mit einem Fingerschnipsen beseitigen, was wir hiermit postwendend tun:
Auf Ästen und Zweigen schaden sie keineswegs, sondern sind nur da, weil das Gehölz langsam wächst und die Rinde sich bedächtig erneuert. Dieser langsame Wuchs mag daran liegen, dass das Gehölz krank ist, dass es ein gesetztes Alter erreicht hat, oder aber es ist von Natur aus ein bedächtiges Ding. Ein anschauliches Beispiel dafür ist der in vielen Gärten wachsende Roseneibisch (Hybiscus syriacus), der schon in jungem Alter mit Flechten übersät ist. Auf Dächern sind Flechten überhaupt keines und Moospolster nur dann ein Problem, wenn sie in grossen Mengen zu Wasserstau und überquellenden Regenrinnen führen. Dem Rasen gereicht Moos nicht zum Nachteil, im Gegenteil, an Problemorten kann es das spärlich wachsende Gras gar ersetzen. Und zu viele Algen im Gartenteich sind ein hilfreicher Indikator dafür, dass er entweder erst kürzlich oder aber falsch angelegt wurde – in gesunden Mengen gehören sie zu einem gesunden Teich dazu: sie dienen als Filter, produzieren Sauerstoff und ernähren andere Organismen. «Flechten? Schön wär’s! Hier im Ort ist die Luft so schlecht, dass wir nirgends Flechten haben», seufzte kürzlich meine Freundin aus Holland. Ja, man kann sie sich auch herbeisehnen, die drei Grünen.
Wider die Langsamkeit
Herbeisehnende mögen nur ungern warten, auch nicht auf die eigene Geduld. Wer heute fix einen Moosgarten hüten möchte wie Sansan Chen, erwirbt bereits vorbegrünte Moosmatten und legt sie beglückt aus. Dass dabei die Wasser speichernde Unterlage aus Kunststoff gewirkt ist, mag an der angestrebten Natürlichkeit nagen. Keinerlei dergestaltige Probleme haben Hersteller sogenannter Moosbilder, mit denen man sich eine «angenehm natürliche Ausstrahlung» ins Haus holt. Und eine praktische noch dazu: Die schallabsorbierenden Bilder aus echtem Moos sind 100% wartungsfrei, weil mit Glycerin konserviert. Ebenfalls frustriert ob des genötigten Wartens waren die ersten Moos-Graffiti-Künstler. Die an Wänden ausgebrachte pürierte Mischung aus Moos, Milch, Bier und Zucker funktioniert zwar, nur merkten es die wenigsten, weil sie nicht zwei Jahre lang warten mochten. Einige Hartnäckige jedoch fanden eine Lösung, die so kreativ ist, dass wir sie gerne weitergeben.
Man nehme:
2 Eigelb, ½ Tasse flüssigen Honig, etwas Wasser und so viel Mehl, dass beim Mischen eine zähe Masse entsteht. * Dann streiche man damit das gewünschte Wort oder Bild auf eine möglichst rauhe, grobporige Aussenwand. * Auf den satt ausgebrachten Kleber drücke man vorsichtig Stücke von (in der Nähe wachsendem) Moos. * Bis es angewachsen ist, täglich zweimal besprühen und vor Vögeln schützen – entfesseltes Moospicken ist besonders bei Amseln höchst beliebt.
Tipp
Buttermilch, Joghurt und Ähnliches auf steinernen Skulpturen oder Gefässen auszubringen, damit sich eine hübsche Patina aus Flechten, Algen und/oder Moos bildet, kann man sich sparen. Merklich schneller geht es damit nicht. Viel spannender und zugleich wunderbar entschleunigend ist es, zu beobachten, wie sich die drei gemächlichen Gesellen nach und nach von selber einstellen.
Wider das Nichtwissen
Staunendes Beobachten öffnet uns die Augen für gänzlich unerwartete Geschenke der Natur. Zum Beispiel auf Fadenalgen, die offensichtlich etwas anders gewickelt sind. Statt im Sommer in stehendem nährstoffreichem Wasser zu wuchern, bevorzugen sie die Wintermonate, einen Brunnentrog und sprudelndes Quellwasser in Trinkqualität. Man kann, wie ich, die Fäden aus dem kalten Wasser ziehen und sie dem Kompost zu essen geben, weniger allerdings werden sie dadurch nicht. Erst wenn die Temperaturen steigen, verziehen sie sich allmählich ins Nirgendwo und sind nicht mehr gesehen. Bis zum nächsten November.
Frage: Warum ausgerechnet und ausschliesslich in der kalten Jahreszeit? Und was für Algen sind das genau? Ich weiss es nicht. Aber vielleicht weisst Du es? Dann schreib uns an: redaktion@pflanzenfreund.ch