Künstlerische Gartenvisionen

Gartenanlagen wurden schon immer mit einem künstlerischen Auge gestaltet. Doch was passiert, wenn die Gärten an sich zum Kunstwerk werden? Visionäre Gartenkunst gibt es häufiger, als wir vielleicht annehmen würden.

Texte: Olaf Bernstein

Bild: Mauritius Images

Die Gärten von Étretat

Die Gärten von Étretat, angelegt hoch oben über dem Ärmelkanal, sind ein modernes künstlerisches Unterfangen, das sich die Interaktion von präziser Hortikultur und ungezähmter Naturlandschaft zunutze macht. Doch diese künstlerische Vision zeigt sich nicht erst seit der aufwändigen Umgestaltung durch den Landschaftsarchitekten Alexandre Grivko im Jahr 2017. Um die Wende des 19. Jahrhunderts liess sich die Schauspielerin Madame Thébault, auf welche die originale Gartengestaltung zurückgeht, wie viele Adlige und Stars der damaligen Zeit im mondänen Seebad nieder und legte sich dort eine Villa samt Park an. Doch damit nicht genug: Die Aktrice war mit dem heute weltberühmten Impressionisten Claude Monet befreundet. Dieser schuf von ihrem Aussichtspunkt aus eine Bilderserie, auf der er die markanten Kreidefelsformationen der Alabasterküste verewigte. Heute erinnert in den Gärten eine Rankenstatue an den Maler, tief versunken im Anblick der Felsbögen. Zahlreiche Kunstwerke und Statuen internationaler Bildhauer beleben die einzelnen Themengärten in Étretat. Dabei nehmen diese Bezug auf so unterschiedliche Themen wie Alice im Wunderland, die französischen Impressionisten, die angeblich erste französische Austernfarm von Marie Antoinette am Fusse der Felsen von Étretat, menschliche Emotionen und Zen-Buddhismus.

 

Bild: Mauritius Images

Mosaiculture

Montreal, die zweitgrösste Stadt Kanadas, nennt ein ganz besonderes Festival sein Eigen: «Mosaiculture» ist ein in unregelmässigen Abständen stattfindender Wettbewerb, bei dem bis zu 200 Kunstschaffende aus zahlreichen Ländern ihre Fähigkeiten in Formschnitt und Teppichbeeten zeigen: gigantische Kreaturen, wilde Muster, eine ganze Phantasmagorie an Fiktionen entsteht dabei. Was traditionellerweise eigentlich geordnet und gehegt daherkommen soll, erhebt sich hier in 3D in die Luft. Die Kunst lebt: Nicht nur, dass sie die dynamischen Formen von Vögeln, Affen, Elefanten und Pferden annimmt, sie besteht auch komplett aus geschickt kombinierten Pflanzenarten und Blumen. Der Ausstellungsort, der botanische Garten der Stadt, bietet auf 748 600 Quadratmetern 22 000 Pflanzenarten ein Zuhause – in seinen Gewächshäusern, Baumschulen und ungefähr 30 Themengärten wie dem Japanischen Garten mit seinen über 150 Jahre alten Bonsaibäumen. Hier ist die Gartenanlage selbst die «Modelliermasse» der Kunstschaffenden.

 

Bild: Wikimedia/Roland Fischer

Bruno Weber Park

Als phantastischer Realist ist der 1931 in Dietikon geborene Bruno Weber regelmässig mit den Behörden zusammengerasselt. Grösster Streitpunkt des Künstlers mit den Bauämtern: sein 15 000 Quadratmeter grosser Skulpturenpark samt dazugehörigem Wohnhaus, illegal im Wald errichtet. Weber war ein Tausendsassa: Maler, Grafiker, Bildhauer, Erfinder, Bauschreiner und Architekt in Personalunion, schuf er nach und nach ein Gesamtkunstwerk, das nicht nur in der Schweiz einzigartig sein dürfte. Seine berühr- und begehbaren Objekte verweigern sich der Kommerzialisierung und fügen der umgebenden Natur eine surreale Note hinzu. Durch diese visuelle Verstärkung, die sich aus zahlreichen internationalen Kunstströmungen bedient, diese transformiert und dadurch etwas komplett Neues schafft, wirkt die dazu ins Verhältnis gesetzte Fauna und Flora wie ein Katalysator auf den Betrachter. Eine derart fühlbare Gartenerfahrung muss schliesslich auch die Behörden zum Einlenken bewogen haben: In den späten achtziger Jahren wurde der Bruno Weber Park schliesslich vom Kanton Aargau legalisiert – damals noch als «Weinrebenparkzone». Heute zieht die grösste Skulpturenschöpfung eines einzelnen Schweizer Künstlers jährlich mehrere tausend Besucher an.

 
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Zucht und Vorurteil

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