Städte der anderen Art: Gartenstädte

Texte: Nicole Häfliger

Der Begriff wird zwar gerne für grüne Städte benutzt, ursprünglich aber bezeichnet «Gartenstadt» eine sozialreformerische Städteplanung, die auf den Engländer Ebenezer Howard zurückgeht. 1898 erschien sein Buch einer radikal-visionären Idee, welche die Gartenstadt-Bewegung begründen und Städteplaner bis heute beeinflussen sollte. Was aber brachte den Parlaments-Berichterstatter ohne Vorwissen in Architektur, Industrie oder Agronomie dazu, sich Gedanken über einen sozialreformerischen Städtebau zu machen, der sowohl dem Individuum, der Gemeinschaft als auch der Wirtschaft zugutekommt? Nun, der erste war er nicht.

Arbeiterstädte

Zehn Jahre zuvor gründete William Hesketh Lever eine der ersten Arbeiterstädte – Port Sunlight, benannt nach der Seife seiner Fabrik (die heute übrigens Unilever heisst). Auf einem Hektar ehemaligen Sumpfgebietes liess er eine bis heute kaum veränderte Siedlung entstehen, die sich durch zahlreiche Grünflächen auszeichnet: Nebst Parkanlagen bieten die Reihenhäuschen, die er für seine Arbeiter anlegen liess, einen zierenden Vor- und einen grosszügigen Hinterhofgarten für den Gemüseanbau. Eine weitere solche Stadt, Bournville, wurde 1893 von der Quäker-Familie Cadbury angelegt. Auch sie war bedacht darauf, den Arbeitern ihrer Kakao- und Schokoladenfabrik nicht nur mehr Rechte zuzugestehen als gewöhnlich, sondern ihnen auch ein lebenswertes Heim zu bieten. Wie Port Sunlight gilt Bournville bis heute als einer der schönsten britischen Wohnorte überhaupt. Mit ein Grund, warum diese Modellstädte oft fälschlicherweise als «Gartenstädte» bezeichnet werden. Nichtsdestotrotz, ein Vorbild für Howard waren sie.

 

Städte ohne Slums und Rauch

Howard ging jedoch einen Schritt weiter. Die Industrialisierung und ihr ungebremstes Bevölkerungswachstum führte zu verschmutzten Städten, wuchernder Slumbildung und zu gleichzeitiger Landflucht. Warum aber Stadt und Land als Gegensatz sehen und nicht die Vorteile beider sinnvoll nutzen? In seiner berühmten Illustration zeigt Howard auf, was er damit meinte und was ihm mit seinem «Town-Country», sprich der Gartenstadt vorschwebte. Die Grundidee: Das Stadtzentrum mit Läden und Unterhaltung umgibt ein grüner Gürtel aus günstigen, grosszügig verteilten Wohnhäusern mit viel Grünflächen und dahinter offener Landwirtschaft zur autarken Versorgung der Stadt. Dieser grüne Gürtel sorgt dafür, dass sich die Stadt nicht weiter ausdehnen kann und es bei rund 32 000 Bewohnern bleibt. Eine dritte, ausgelagerte Zone beherbergt die Industrie. Ebenezer Howards Lösung mag in seiner ausgeklügelten Gesamtheit utopisch gewesen sein, etwa mit dem Umstand, dass die Stadt kollektiv den Bewohnern gehört, doch in Teilen wurde sie tatsächlich umgesetzt.

 

Die ersten Gartenstädte

1903 wurde das Konzept gemeinsam mit Howard zum ersten Mal verwirklicht: Nur ein einziger Baum wurde gefällt, als Letchworth, nicht weit von London, von Grund auf neu erbaut wurde. Die Gründerbürger wurden als idealistisch-weltfremde Gesundheitsfanatiker belächelt (Pubs u. a. waren verboten), aber die Stadt ist bis heute ein höchst beliebter Touristen- und Wohnort. Deutschlands einzige Gartenstadt, die nach Howards Ideen erbaut wurde (1909), geht auf den Möbelfabrikanten und Lebensreform-Anhänger Karl Schmidt zurück. Auch ihm ging es um Sozialreform und die Idee, Wohnen mit Arbeiten, Kultur und Bildung zu verbinden. Hellerau ist heute ein eingemeindeter Stadtteil von Dresden und bewirbt sich seit 2011 als UNESCO-Weltkulturerbe. Fritz Straub, heutiger Chef der von Schmidt gegründeten Deutschen Werkstätten:

Hier hat eine Gruppe von Leuten etwas ganz Besonderes geschaffen. Nicht, weil sie damit Geld verdienen wollten, sondern weil ihnen klar war: Wir können die Welt nicht so lassen, wie sie ist. Das muss man bekannt machen, weil uns diese Haltung heute oft fehlt.
 
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