Sinnliche Gärten
«Ich liebe das Poetische, das Sinnliche»
«Verpasst nicht das spannendste Bookazine zu Gartenthemen 2023!», schrieb Jora Dahl kurz nach Erscheinen unserer Sonderedition. Vor zwei Jahren war sie die erste Gartenliebhaberin, die im Rahmen unserer neuen Serie «Szenenwechsel» porträtiert wurde – ein Blick zurück.
Text: Judith Supper, Bilder: Ling Khor
Jora Dahl ist gerade im Panikmodus. Bislang hatte sie den Produkteversand für ihren Onlineshop an einen Dienstleister outgesourct. Seit Januar macht sie ihn selbst. Dafür muss sie das Souterrain ihres Hauses in Potsdam renovieren: Regale errichten, Arbeitsflächen bauen, Stauraum schaffen. Fortan verarbeiten hier zwei neue Mitarbeitende die Bestellungen. «Ob der Umbau zum Start in die Saison fertig ist? Ich hoffe es!», sagt sie.
Hinter «Jora Dahl» verstecken sich gleichzeitig Person und Marke. Mit ihrem Designstudio will sie Produkte entwickeln und Gärten gestalten, die das Leben schöner machen. Im Onlineshop finden sich Blumensamen und -zwiebeln, Stauden, Gartenwerkzeuge und auch Bücher, alles handverlesen mit dem charakteristischen Jora-Dahl-Stempel. Die Stauden stellt sie zu modularen Pflanzplänen zusammen, Garten-Coachings runden das Angebot ab.
Viel mehr als Boho und Cottage
Jede Samentüte oder Pflanzenbox, die sie verschickt, lässt sie per Hand illustrieren, denn schon die Verpackung soll so hochwertig sein wie das Produkt im Inneren. Damit alles klappt, braucht es ein Team: eine Assistentin, eine Grafikerin fürs Illustrieren und eine Staudenexpertin zur Unterstützung bei den modularen Pflanzplänen. Beim Scrollen durch ihr Instagram-Profil beginnt man zu verstehen, worin die Essenz der Jora-Dahl-Sprache liegt. Pflanzenporträts voller Sinnlichkeit und Anmut finden sich dort, Blumen zu wilden Sträussen gebunden oder einzeln in schlichten Bügelflaschen drapiert, hauchzarte Tulpen, gefüllte Narzissen, Kosmeen in hellrosa oder dunkelrot umrandet. Eine Poesie, die sich irgendwo zwischen Boho-Style und Cottage-Garten verorten lässt, aber viel mehr ist. Hier hegt jemand eine besondere Vorliebe fürs Natürliche und Florale.
Einen Märchengarten später
Die gebürtige Freiburgerin Jora Dahl zog es schon in jungen Jahren in die brodelnde Kreativszene von Berlin-Neukölln. Nach Abschluss ihres Philosophiestudiums arbeitete sie zunächst als Journalistin, dann als Kreativdirektorin für interaktive Ausstellungen. Schliesslich kamen die Kinder. Eine berufliche Umorientierung war erforderlich: «Ich brauchte eine Arbeit, die mit der Familie funktioniert und die mich weiterhin kreativ sein lässt, ohne dabei eine Karrierestufe zurückzutreten. Also musste ich gründen – und quasi ohne Startkapital auf Risiko gehen.»
Mit dem Umzug nach Potsdam wurde sie von heute auf morgen zur Gartenbesitzerin. Ausser einer zubetonierten Fläche Typ DDR und einer kitschigen Harlekinweide habe das 600 m2 grosse Areal nicht viel hergegeben. «Aber dennoch hat es mich sofort in seinen Bann gezogen.» Jora Dahl begann, wissenschaftliche Bücher über Stauden zu lesen und bildete sich weiter – doch egal wie viel sie las, so richtig klappen, wollte es mit dem Traumgarten vor der Haustüre nicht.
Sie reiste nach England, begeisterte sich für die Cottage-Gärten, für die Gestaltungen von Arne Maynard und Charlie McCormick, stiess auf die Konzepte von Piet Oudolf und entsorgte ihre Rosensträucher. Was sie wirklich «umgehauen» habe, waren die Slowflower-Bewegung und Unternehmerinnen wie Erin Benzakein von Floret Flowers, die ihre Blumen lokal anbauen, nach nachhaltigen Grundsätzen, frei von Chemie. Solche Blumen wollte sie zuhause in ihrem eigenen Garten ziehen. Einige Fehlschläge und Enttäuschungen später war das Ziel erreicht: Ein Märchengarten voller subtiler Farben, sanfter Strukturen und einer Blütenpracht, die förmlich darum bettelte, geschnitten und als Naturstrauss in die Vase gestellt zu werden.
Weder Businessplan noch abgeschlossene Ausbildung
Dass sie für ihre heute Tätigkeit keine klassische Gärtner-Ausbildung absolviert hat, empfand sie nie als Hindernis. Im Gegenteil. «Gerade weil ich keine Ausbildung in diesem Bereich gemacht habe, bin ich erfolgreich. Ich hatte lange Zeit mit Brand Design zu tun, also mit emotionalisierenden Produkten. Die Gefühle, die ich hatte, wenn ich im Garten stand, wollte ich mit meiner Marke transportieren. Hätte ich etwas so trocken-ingenieurhaftes wie Gartenbau studiert, wäre mir dieser Zugang verwehrt geblieben.» Vielleicht ist das einer der Gründe, warum sich die Bestellungen im neu renovierten Souterrain stapeln. Aber vielleicht auch, weil sie mit Herz und Intuition an die Sache geht, nicht mit einem Businessplan. «Ich liebe es einfach, Neues zu entdecken und auszuprobieren.» So wie der hauseigene Versand der Bestellungen. Der hat sich prächtig entwickelt – wie wohl fast alles, was Jora Dahl in die Hand nimmt.
Das Szenenwechsel-Porträt über Jora Dahl ist in der März-Ausgabe 2021 erschienen.
In Deutschland kann das Bookazine im Onlineshop von Jora Dahl gekauft werden.