Vom Zweireiher zur Pumphose

Mode und Gärten

Als sich die Damen noch nicht die Hände schmutzig machten, fand man Gärten nur gestickt auf Kleidern. Wie englische Frauen in gartentauglicher Kleidung den Weg nach draussen fanden, ist eine kurze Geschichte über mehrere Jahrhunderte – mit einem Seitenblick auf andere Länder Europas.

Text: Carmen Hocker, Bilder: Royal Horticultural Society

Ein gewisser Hang zur Exzentrik zeigt sich auch im Garten-Outfit von Lady Birley (1899–1981). Ihr wird nachgesagt, die Rosen mit Fisch-Eintopf «gefüttert» zu haben.

 

Fernsehgärtnerinnen, gärtnernde Buchautorinnen und «nachhaltige» Bloggerinnen. Sie alle lieben sie: die Gartenlatzhose, vornehmlich in Gras-grün. Warum eigentlich? Mag sein, dass sich in den Taschen Schere, Samentütchen und Schnur verstauen lassen. Vielleicht signalisiert die Trägerin damit aber auch nur: «Ich bin am Arbeiten, ich faulenze nicht!» Fest steht, dass es ein langer Weg war, bis die weibliche Welt im Garten das tragen konnte, wonach ihr gerade zumute war.

Vorbild Stickerei und Stoff

Worin liegt die Verbindung zwischen Mode und Gärten? Wie eine Gärtne-rin folgt auch die Modewelt dem Rhythmus der Jahreszeiten und ver-sucht die Stimmung der nächsten zu antizipieren, schreibt Nicole Shul-man im Vorwort des Katalogs zur Ausstellung «Fashion and Gardens», die 2014 im Garden Museum in Lon-don von ihr kuratiert wurde. Sich kleiden und gärtnern sind für sie Ausdruck von Wunschdenken. Um zu ergründen, wie sich die beiden Bereiche über die Jahrhunderte beeinflusst haben, hat sie einen Blick zurück geworfen. Ihre Reise in die Vergangenheit beginnt im 16. Jahrhundert, dorthin, wo Muster wichtiger waren als Blumen – in der Garderobe als auch im Garten. Englische Knotengärten, Irrgärten und Schneckenornamente imitierten Stickereien und strukturiertes Gewebe. Man schnitt Ysop, Buchs und Thymian kunstvoll wie ineinander verschlungene Bänder. In Versailles wurden die parterres de broderies von Le Nôtre, dem Gartenarchitekten des Sonnenkönigs, ausschliesslich aus Immergrünen gepflanzt. «Blumiges» trugen die Damen des Hofes nur im Haar, in Form von stilisierten Schmuckinsekten wie Wespen und Schmetterlingen.

 

Wie feine Stickereien wirkten die «parterres de broderies» im 16. und 17. Jahrhundert.

 

Ein Garten von Kleid

In Grossbritannien waren die Vorstellungen und Wünsche anders. Dort liebte man echte Blumen und botanischen Realismus. Ende des 16. Jahrhunderts tauchten erstmals naturgetreue Blumen auf den Kleidern auf. So trug Königin Elizabeth I. ein Kleid mit Rosen und englischen Wildblumen. Auch Neuigkeiten aus fernen Ländern «wuchsen» auf den Stoffen: Tulpen aus der Türkei, Ringelblumen aus Afrika und Jungfern im Grünen aus dem Mittleren Osten. Nicole Shulman gibt zu bedenken, dass die Stickereien gleichzeitig Ausdruck des Wissens einer englischen Dame waren, da Lebensmittel und Medizin vorwiegend aus dem eigenen Garten kamen. Erfüllten Blumen in der französischen Mode der Zeit einen vornehmlich dekorativen Zweck, galt die Aufmerksamkeit in Grossbritannien nicht nur ihrem Äusseren, sondern auch ihrem Nutzen als Nahrung und Heilpflanzen. Im 18. Jahrhundert folgte eine Zeit, in der riesige Reifröcke getragen wurden, die es nur erlaubten, eine Tür seitlich zu durchschreiten. Da sich über Jahrzehnte nichts an der Form der Kleider änderte, konnte man die jeweilige Modeepoche lediglich am Muster der Seide ablesen. Die erfolgreichsten britischen Designer*innen der Zeit interessierten sich so stark für botanischen Realismus, dass sie Mitglied in botanischen Gesellschaften wurden, um unter den Ersten zu sein, die neue Pflanzenarten und -sorten zu Gesicht bekamen.

 

Fast wie eine Leinwand wirkten die breiten Reifröcke der sogenannten Mantua-Kleider aus dem 18. Jahrhundert. Mit ihnen konnte man eine Tür nur seitlich durchschreiten. Foto: Wikimedia Commons

 

Kleider für den Garten

Mit dem Aufkommen des Englischen Landschaftsparks verschwanden gerade Linien und penibel geschnittene Pflanzen aus den Gärten der Insel. «Natur» war der letzte Schrei. Einen Grundstein dafür hatte der Gartenbauingenieur Batty Langley gelegt, als er 1728 seine Leserschaft in einem Essay dazu aufrief, grosszügiger und ländlicher zu gärtnern. Bis dahin waren die Damen und Herren, in edlen Gewändern gekleidet, über ihre weitläufigen Terrassen flaniert. In besonders grossen Gartenanlagen brachte man die Damenwelt in geschlossenen Wagen zu entfernten Aussichtspunkten. Diese Distanziertheit sollte sich nun ändern. Wer der neuesten Mode entsprechen wollte, stand morgens früh auf, um Pflanzen zu sammeln, die Landschaft zu bewundern und über die Phänomene der Natur zu staunen. Diese Aktivitäten verlangten nach anderer Kleidung. Nach Stoffen und Schnitten, mit denen man über Stock und Stein gehen konnte – und die nass werden durften. Für Männer entstand, in Abwandlung einer Dienerkleidung, ein robuster dreiteiliger Anzug aus grobem Tuch in gedeckten Farben, zu dem man hohe Stiefel trug. Für Damen adaptierte man die Redingote, auch Caracao genannt. Dieser langärmelige Zweireiher war um die Taille eng und wurde mit einem ausladenden Rock kombiniert. Damit es die Damen schön warm hatten, gehörte eine Weste darunter und anstelle des Halstuchs für Männer ein Spitzenjabot. An sich erinnerte die Kleidung, die als befreiend und elegant zugleich empfunden wurde, an ein Reitkostüm. Dass die Pferdeliebe der Engländer Geschäftspotenzial bot, erkannte auch der Landschaftsarchitekt Lancelot «Capability» Brown. Fortan wurden landschaftliche Umgestaltungen mit Blick vom Rücken eines Pferdes geplant. Von England trat die «informelle» Gartenkleidung ihren Siegeszug in ganz Nordeuropa an. So trägt Goethes Romanfigur Werther das Ensemble des englischen Parkbesitzers als Ausdruck der «romantischen Sensibilität». Noch heute taucht es in abgewan­delter Form auf – als Kombination aus hellgelbem Cashmere­-Pullover, Sportjacke und Brogues-­Schuhen. Im Frühling 2009 nahm Christopher Bailey, Creative Director von Burber­ry, Ensembles von Lady Birley und anderen grossen Gärtnerinnen als Ausgangspunkt: Aus der schrulligen Aufmachung mit Hut, Ellbogenauf­nähern, Schal und purpurnem Pull­over kreierte er stadttaugliche Klei­dung, die noch immer stärkstem Regen trotzte.

Farbe für alle und alles

Im 19. Jahrhundert war es der ganze Stolz eines englischen Obergärtners, einjährige Sommerblumen im Ge­wächshaus vorzuziehen und an­schliessend in Massen in die Beete zu setzen: scharlachrote Pelargonien, gelbe Pantoffelblumen, blaue Lobeli­en, … Ebenso bunt wurde auch die Farbpalette auf den Kleidern der Da­menwelt. Einerseits durch die Errun­genschaft der Wissenschaft, anderer­seits durch die Rohstoffe aus den Kolonien. Die aufkommende Leiden­schaft für leuchtende Farben im Gar­ten machte später jedoch wieder mehr Zurückhaltung Platz. Im Wis­sen um die Farbenlehren von Goethe und Chevreul begann das Interesse für Mischtöne und Schattierungen. In den Beeten experimentierte man jedes Jahr mit neuen Farbkombinati­onen. Gärten wechselten ihr Gesicht jetzt ebenso schnell wie die Kleider der Frauen. Besass man früher selbst in wohlhabenden Kreisen nur wenige Kleidungsstücke, änderte sich dies im Laufe des Jahrhunderts. Unter ande­rem ist dies einem geschäftigen Bri­ten zu verdanken, der in Paris eine neue Ära einläutete: Charles Worth (1825–1895), Modeschöpfer und mutmasslicher Begründer der Haute Couture, erfand die jahreszeitliche Kollektion, um mehr Kleider verkau­fen zu können. Zu seinen Kundinnen zählten Elisabeth von Österreich ebenso wie Nellie Alba und Sarah Bernhardt.

 

Beatrix Havergal, Gründerin der Waterperry School for Lady Gardeners, trug eine nicht gerade modische, dafür aber praktische Uniform aus Hängekleid, Kniestrümpfen und schweren Arbeitsschuhen.

 

Die Pumphosen-Frauen von Kew

Im Rhythmus der Jahreszeiten lebten auch die Schülerinnen der Water­perry School for Lady Gardeners. Doch ihr Outfit war keine Haute Cou­ture, sondern «down to earth»: Um sich die Hände dreckig machen zu können, steckten sie in einer Uni­form aus Hängekleid, Kniestrümpfen und schweren Arbeitsschuhen. Ganz dem Credo der Gründerin Beatrix Havergal (1901–1980) verpflichtet: «Der einzige Weg, etwas zu lernen, besteht darin, die gerade anstehende Arbeit zu machen.» Galt das Gärt­nern bis anhin eher als schmückendes Beiwerk denn als ernsthafter Zeitvertreib, war es diesen Gärtnerin­nen wirklich ernst. Sie wollten kein sensibles Dekorationsstück mehr sein. Das musste schliesslich auch Sir William Thistleton Dyer einsehen. Der Leiter des Königlichen Botanischen Gartens in Kew fand sich 1896 gezwungen, erstmals Frauen anzu­stellen. Damit sie möglichst unauf­fällig blieben, mussten sie ihr Haar unter einer Mütze verbergen und An­züge mit Knickerbocker wie die Män­ner tragen. Dass sie in diesem Aufzug erst recht die Aufmerksamkeit auf sich zogen, machte den Urheber der Auflage bald zum Gespött.

 

Frauen, die gärtnern und botanisieren? Wenn schon, dann bitte unauffällig in Knickerbockers und die Haare unter einer Mütze versteckt. Doch damit erregten die Gärtnerinnen von Kew Gardens erst recht Aufsehen. Foto: The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew

 

In den 1950er-Jahren trugen die Schülerinnen der Waterperry Horticultural School for Women schon legere Latzhosen; hier im Gurkenhaus.

 

Apropos Spötteln, die eingangs be­lächelte Latzhose mag ihren Zweck als Gartenkleidung durchaus erfüllen und sogar richtig schick aussehen. Die Frage ist nur, ob es die Gärtnerin immer rechtzeitig schafft, in sie hin­einzuschlüpfen. Nicht nur der gärt­nernden Autorin selbst widerfährt es immer wieder, «noch schnell» im Sommerkleid oder anderen unprakti­schen Gewändern in den Garten zu hüpfen, um sich an stacheligen Ro­sen den Stoff zu zerreissen und die nicht behandschuhten Hände zu zer­kratzen. ­

 

Jeans sind auch im Garten für viele die erste Wahl. Das findet übrigens auch unsere Kolumnistin Nicole Häfliger.

 

Wer trägt was im Garten?

Auf der Website des Lon­doner Garden Museum gibt es eine Serie zum The­ma Gärtnern mit Stil: What do gardeners wear? In die­sen kurzweiligen Beiträgen erzählen Gärtnerinnen und Gärtner, was sie im Garten tragen und warum.

 
 
 
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