Eine Bühne für Kakao
Die Glückseligmacherin
Schokolade macht glücklich, ist Nahrung für die Seele und hat als Superfood Karriere gemacht. Doch die «Speise der Götter» anzubauen, ist ressourcenintensiv. Gleichzeitig sind weltweit mehr als fünf Millionen Bauernfamilien von den Produkten des Kakaobaums abhängig. In Zürich hat Fränzi Akert, Geschäftsführerin der Schokoladenmanufaktur Garçoa, ein klares Ziel vor Augen: dem regionaltypischen, unverfälschten, diesem einzigartigen Geschmack der reinen Schokolade eine Bühne zu bereiten.
Text: Judith Supper
Kaum ist die schwere Tür geöffnet, die zu Garçoa Chocolate in Zürich-Wollishofen führt, ist er allgegenwärtig, der Schokoladenduft. Schon beginnt mein Magen zu knurren. Ich habe Fränzi gesagt, keine allzu grosse Schwäche für den dunkelbraunen Glückseligmacher zu haben. Das war geflunkert. Schliesslich haben «Forschungen ergeben, dass 14 von 10 Menschen Schokolade mögen», wie die US-amerikanische Humoristin Sandra Boynton einmal sagte.
VOM KÄSE ZUM KAKAO
Die Gründerin von Garçoa Chocolate, Franziska «Fränzi» Akert, ist eine filigrane, schlanke Frau mit blauen Augen. Sie hat Agronomie studiert und sich zwischendurch zur Käserin ausbilden lassen – das Studium war viel zu theoretisch. Über den Käse ist sie zum Kakao gekommen. «Da dreht sich ja auch alles um Fermentation und um Starter-Kulturen. Mich hat interessiert: Wie funktioniert das? Also habe ich einen Fairtrade-Händler angeschrieben und nachgefragt.» So landete sie in Peru, wo sie sich sieben Monate lang mit der Kakaobohnenfermentierung beschäftigte. Die Lust an fernen Ländern wurde Fränzi in die Wiege gelegt. Von klein auf war die Zürcherin viel unterwegs – kein Wunder, mit einem Tropenarzt als Vater. Nach längeren Aufenthalten in Haiti und Simbabwe kehrte sie im Schulalter in die Schweiz zurück, begann nach der Matura an der ETH Zürich Agrarwissenschaften zu studieren, gründete Garçoa, machte 2018 ihren Doktor und wurde Mutter von zwei Söhnen. Seit drei Jahren arbeitet sie an der Berner Fachhochschule als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich nachhaltige Milchproduktion. Zwei Tage die Woche widmet sie sich Garçoa, oft auch an den Wochenenden, wenn sie Märkte oder Slowfood-Anlässe besucht. Das alles funktioniert nur, weil sie und ihr Partner das Kinderaufziehen im Tandem organisieren. Und weil Fränzi die Quelle grenzenloser Energie-Ressourcen aufgespürt haben muss.
RUNDUM GESUND
Wahrscheinlich steckt die Schokolade dahinter. Dunkle Schokolade gilt als Superfood. Wer sie regelmässig isst, reduziert das Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall. Schon ein kleines Stück Bitterschokolade soll den Blutzuckerspiegel senken und Herzkrankheiten reduzieren. Zudem regt sie die Produktion des Glückshormons Serotonin an.
Bis heute ist nicht ganz klar, wo genau die Ursprünge des Kakaobaums Theobroma cacao liegen. Viele Forschende gehen davon aus, dass die Pflanze vor etwa 3600 Jahren domestiziert und je nach Quelle erstmals in Südamerika oder Mittelamerika kultiviert wurde. Für die Mayas und die Azteken waren die getrockneten Kakaobohnen so bedeutsam, dass sie sie für religiöse Riten oder als Zahlungsmittel einsetzten. In flüssiger Form erreichte der Kakao schliesslich Europa. Die Erfindung der Schokoladenpresse machte es technisch möglich, die gerösteten Bohnen zu pressen. Damit war die Schokoladentafel geboren.
70 Prozent der weltweiten Kakaoproduktion erfolgt in Westafrika, hauptsächlich an der Elfenbeinküste und in Ghana. Die globale Ernte nehmen laut Public Eye zu 65 Prozent drei Gesellschaften für sich in Anspruch: die Barry Callebaut AG, Cargill und Olam International. Bis zu 40 Prozent der Kakaoernte der Elfenbeinküste sollen von illegal gerodeten Flächen stammen. Trotz zahlreicher Absichtserklärungen ist auch die Kinderarbeit noch immer ein riesiges Thema im lukrativen Kakao-Geschäft. Laut der entwicklungspolitischen Organisation Inkota arbeiten allein in Westafrika rund 1,5 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen auf den Plantagen.
Garçoa Chocolate produziert etwa 4,5 Tonnen Schokolade jährlich. Den Rohstoff, die fermentierten Kakaobohnen, liefern Kleinbauern aus Peru, Guatemala, Ghana und Indien. Viele von ihnen kennt Fränzi persönlich. Teils sind es Familienbetriebe, teils sind sie genossenschaftlich aufgebaut. Alle sind nach EU-Standard biozertifiziert, ein paar tragen das Fairtrade-Zertifikat. Die bewirtschafteten Flächen messen durchschnittlich ein bis maximal vier Hektare, was sehr klein ist.
IM SCHUTZ DER KAKAOMUTTER
Kakao-Sträucher blühen direkt am Stamm, die Bestäubung erfolgt vor allem durch Fliegen und Ameisen. Wichtig fürs Gedeihen der Kakaopflanzen sind die «Kakaomütter»: hochwachsende, die Plantage überragende Bäume, die direktes Sonnenlicht abschirmen und Schutz vor Wind bieten. Mehr noch: Sind die Anbauflächen an Agroforstsysteme gekoppelt, profitieren die Bauern und erst recht die Natur davon. Eine Studie des FiBL von 2017 belegt, dass das Einkommen in den Agroforstsystemen über die Jahre etwa doppelt so hoch wie in den Monokulturen ist. Denn in diesen Systemen lassen sich zahlreiche andere Pflanzen anbauen, auch Nutzpflanzen wie Ananas, Orangen, Kochbananen oder Avocados: ein zweites wirtschaftliches Standbein für die Kakaobauern und gleichzeitig elementar für die eigene Ernährung. Zudem übernehmen die naturnahen Grünflächen wichtige ökologische Funktionen – nicht zuletzt, was die Speicherung von Regenwasser betrifft. Für ein Genussmittel wie den Kakao ein wichtiges Argument, denn um 100 Gramm Schokolade herzustellen, sind durchschnittlich 1700 Liter Wasser erforderlich, da die schutzlosen Bäume in Monokulturen stark bewässert werden müssen. Damit liegt Kakao, was den Wasserverbrauch anbelangt, noch vor Kaffee und Rindfleisch.
Die Nachfrage nach Kakaoerzeugnissen steigt ungebremst an. Weltweit beläuft sich die Anbaufläche auf etwa 12,3 Millionen Hektar. 1994 hatte sie noch bei 5,76 Millionen gelegen. Um Produktivität und Rentabilität zu maximieren, sind Monokulturen für viele der einfachste Weg. Doch der höhere Ertrag ist nur scheinbar von Vorteil. Langzeitstudien kommen zu dem Schluss, dass der kurzfristige Produktionsrückgang in Agroforstsystemen dadurch nivelliert wird, dass die im Schatten stehenden Kakaobäume eine längere Lebensdauer haben.
WAS DEN GESCHMACK MACHT, IST NOCH LANGE NICHT BEKANNT
Zurück zu den Kakaobohnen, den Trägern des mal fruchtigen, mal scharfen, aber immer selig machenden Kakaogeschmacks. In jeder Kakaofrucht stecken 30 bis 50 Kakaobohnen. Zum Fermentieren schichten die Bauern sie auf Bananenblätter oder in Holzboxen. Bis zu sieben Tage dauert die Fermentierung. Danach werden die Bohnen an der Sonne getrocknet, wofür nochmals eine Woche einzurechnen ist. «Aber bei 80 Prozent Luftfeuchtigkeit», erklärt Fränzi, «lässt sich das nie so genau sagen.»
Im Laufe der über zehn Jahre, die Fränzi nun auf der Suche nach dem reinen Schokoladengeschmack ist, hat sie Tausende Bohnen probiert. In Peru stets die gleiche Sorte, trotzdem hätte der Gaumen immer etwas anderes geschmeckt. Die Schokolade, die Garçoa aus Bohnen aus Ghana herstellt, hat fruchtige und nussige Noten, diejenige aus Indien schmeckt nach frischer Erde, Tabak und feinen Früchten. Weinmenschen würden wohl vom «Terroir» sprechen, also der Gesamtheit natürlicher Faktoren wie Boden oder Sonnenexposition, die dem Wein seinen Geschmack verleiht. Doch vergleichende Studien über regionale Herkunft, Sorten, Boden, Witterung oder über die Art der Fermentierung und Trocknung gibt es bei Schokolade nicht. «Obwohl all das den Geschmack massgeblich beeinflusst und je nach Ursprungsort einmalig macht», sagt Fränzi.
Sobald die fermentierten Bohnen in Zürich eingetroffen sind, werden sie vom Garçoa-Team geröstet und aufgebrochen. Dann separieren sie die Schale von den zerkleinerten Kakaobohnen, den sogenannten Kakaonibs. Diese kommen in den «Grinder», eine Steinmühle, wo sie fein gemahlen werden. Dabei entsteht eine sämige, flüssige Schokoladenmasse. Nach Zugabe von Bio-Rohrzucker wird die Kakaomasse weiter gemahlen, bis sie sehr fein ist und sich der Kakaogeschmack optimal entwickelt hat. Das kann bis zu drei Tage dauern. Dann giessen Fränzi und ihr Team sie in grosse, lagerfähige Blöcke. Um die charakteristische Garçoa-Tafelform zu erhalten, werden die Blöcke temperiert geschmolzen und per Hand in Form gegossen.
DER EINZIGE PLANET, AUF DEM ES SCHOKOLADE GIBT
Für Fränzi und ihre Kolleginnen gilt analog zur Bean-to-Bar-Philosophie ein absolutes Reinheitsgebot, weshalb sie nur dunkle Schokoladen produzieren. Kuhmilch oder Mandelsplitter, extra Kakaobutter oder Gott bewahre, Speck, nichts davon hat in einer Garçoa-Schokolade etwas zu suchen. Die einzigen Ingredienzien sind Kakaobohnen und Rohrzucker. «Nur so kann sich der charakteristische Geschmack wirklich entfalten», sagt Fränzi. Garçoa, wen wundert’s, ist ein Kofferwort aus Cocoa und Sugar.
Fränzi, die Frau mit dem Sinn für Süsses, weiss, wie hochwertige Schokolade zu essen ist. Denn ihren intensiven Geschmack entfaltet sie erst, wenn sie mit Sauerstoff in Berührung kommt. Anstatt gleich eine halbe Tafel wolfartig hinunterzuschlingen, sollte man vorsichtig ein kleines Stückchen abbeissen. Dieses wird mit den Backenzähnen zerkleinert. Während des Atmens lässt man die Bröckchen über die Zunge gleiten und wartet, bis sie schmelzen. Noch ein bisschen mit den Backenzähnen zermalmen. Schmelzen lassen. Atmen. Knabbern, schmelzen lassen, atmen. Dann ist sie da, die Geschmacksflut. «Rettet die Erde. Sie ist der einzige Planet, auf dem es Schokolade gibt», sagte die amerikanische Buchautorin Dianne Castell. Wie recht sie hat.
Bean to Bar
Viele Schokoladenhersteller greifen auf fertige, einheitlich schmeckende Kakaomassen zurück und veredeln diese mit geschmackgebenden Zutaten. Beim Produktionskonzept «Von der Bohne bis zur Tafelschokolade» ist das anders. Hier beziehen die Produzierenden die fermentierten und getrockneten Kakaobohnen direkt bei den Kakaobauern und führen danach jeden Verarbeitungsschritt bis zum verpackten Produkt selbst durch. Bei dieser sogenannten «Craft Chocolate» sind die Qualität der Tafeln und die hohe Geschmacksvielfalt zentral.
Das Porträt über Fränzi Akert ist in der März-Ausgabe 2023 erschienen.