Die Blumenwiese als Naturkundelehrerin

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Erwin Meier-Honegger ist Co-Geschäftsleiter der Firma Ernst Meier AG, Gärtner und setzt sich leidenschaftlich für seinen Berufsstand ein. Er ist international in zahlreichen Gremien aktiv und pflegt einen kritischen Blick auf seine Branche. In seinen Artikeln und Kommentaren nimmt er kein Blatt vor den Mund.


«Generell wird der Aufwand für den umweltschonenden Umgang mit der Landschaft sträflich unterschätzt.»


Die Blumenwiese ist das schönste Symbol für das grosse Missverständnis um ökologische Zusammenhänge. Sie ist der Inbegriff der Verklärung einer pflegeleichten Natur. 

Wenn heute Schuldige am Verlust von Biodiversität an den Pranger gestellt werden, dann figurieren Pflanzenzüchtungen an prominenter Stelle. Man könnte meinen, die Gärtnerschaft habe es kollektiv auf die Biodiversität abgesehen und alles darangesetzt, mit möglichst dominanten und für unsere einheimische Insektenwelt unverträglichen Pflanzen die Natur lahmzulegen.

Ohne meine Zunft allzu sehr in Schutz nehmen zu wollen, sei an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen, warum die Pflanzenzucht in eine naturfeindliche Richtung ging: Es war das Konsumbedürfnis nach dem Oxymoron «schön und pflegeleicht». Je mehr sich der urbane Mensch von der Mühsal im Umgang mit der Natur entfremdet hat, desto lauter wurde der Ruf nach Pflanzen, die möglichst üppig gedeihen, dauerblühen und weder durch Vernachlässigung noch Überbetreuung zu töten sind.

Aus heutiger Sicht ist verständlich, dass ein Zuviel solcher «Eierlegenderwollmilchsau-Pflanzen» die Natur überstrapaziert. Zum Glück besinnen wir uns nun wieder auf einheimische Pflanzen zurück. Dabei wird jedoch vergessen, dass dieser Fortschritt durch Rückschritt auch wieder mehr Pflege und weniger überschwängliche Üppigkeit mit sich bringt. Die Menschen wollen im eigenen Garten Rasen, Rosenbeet und Geranien durch vermeintlich pflegeleichte und dauerblühende Blumenwiesen ersetzen. Sie sind es satt, den Rasen zu mähen, den Sommerflor jedes Jahr neu zu pflanzen und das Rosenbeet zu pflegen. Einmal Blumenwiese aussäen und danach ohne Arbeit über mehrere Jahre einheimische Dauerblütenpracht geniessen.

Niemand denkt daran, dass diese Wunschbilder von unseren viel gescholtenen Landwirtinnen und Landwirten mit grossem Aufwand gepflegt werden. Generell wird der Aufwand für den umweltschonenden Umgang mit der Landschaft sträflich unterschätzt. Von aussen betrachtet mag der biologisch bewirtschaftete Garten oder Landwirtschaftsbetrieb weniger gepflegt anmuten, als die «geschleckten» Kulturen nach alter Schule.

Die flüchtige Betrachterin respektive der ebensolche Betrachter vergessen ob diesem Trugbild jedoch gerne, dass mit umweltschonenden Hilfs- und Nährstoffen deutlich regelmässiger, umsichtiger und vorausschauender interveniert werden muss als unter Verwendung der zeitsparenden Errungenschaften der Agrochemie. Der Aufschwung der Pestizide wurde durch den Minderaufwand mit Mehrertrag für die Landwirtschaft beflügelt; zu Ungunsten der Biodiversität, wie wir heute wissen.

Selbiges gilt für die Pflanzenzucht. Warum glauben Sie, dass die «neuen» Pflanzenarten in den vergangenen Jahrzehnten einen solchen Aufschwung erlebt haben? Es war der Minderaufwand mit Mehrwert für die Hobbygärtnerinnen und -gärtner; zu Ungunsten der Biodiversität, wie wir heute wissen. Nun alles Gestrige zu verteufeln und lediglich das Vorgestrige als seligmachend zu preisen, erachte ich als populistische Vereinfachung der Herausforderungen in unserem gesellschaftlichen Umfeld.

Diversität und Inklusion sollen auch für den Garten und auf Balkonen gelten. Die Geranie am Bauernhaus war noch nie ein Problem, solange die Insektenwelt daneben im biodiversen Bauerngarten paradiesische Zustände vorfand. Die Geranie wurde dort zum Problem, wo vor dem Haus ein blütenloser Rasen von einer Kirschlorbeerhecke eingesperrt ist. Dort, wo neben der grünen Spielwiese die Hälfte des Rasens Blumenwiese sein darf und die Hecke mindestens zur Hälfte aus einheimischen Sträuchern besteht, dürfen sowohl Geranien als auch die ein oder andere zusätzliche nicht einheimische Zierpflanze Bestand haben.

In einem solchen Umfeld wird niemand überfordert, auch wenn die Blumenwiese nicht ununterbrochen blüht. Denn die Blumenwiese lehrt uns Demut und Respekt. Sie ist die wertvollste Naturkundelehrerin. Naturkunde alleine ist ohne die anderen Fächer und Disziplinen jedoch wenig nachhaltig.

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