Biodiversitätsinitiative

Ja, nein, vielleicht?

Am 22. September ist es so weit: Dann entscheidet die Schweiz über die Eidgenössische Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft (Biodiversitätsinitiative)». Mit der Vorlage wollen die Initiierenden Natur, Ortsbilder und schöne Landschaften erhalten. Wenige Wochen vor dem Abstimmungstag herrscht eine wilde Debatte über Sinn und Unsinn der Initiative. Der Pflanzenfreund hat sich umgehört und verschiedene Meinungen gesammelt. Als Konsens unterm Strich: Es gibt eine Biodiversitätskrise. Aber ist deswegen die Initiative gerechtfertigt?

 

Foto: Katharina Nüesch

 

Susanne Hochuli

Der Mensch braucht die Biodiversität, um zu überleben

«Der Mensch ist der Natur ziemlich egal. Für die Natur sind wir ein lästiges Übel wie eine Eiszeit, eine Hitzeperiode, ein Meteoriteinschlag oder ein Vulkanausbruch. Ich staune immer wieder, wie gut die Natur all diese Plagen überwindet. Sie braucht dazu Zeit und sie tut es zu ihren Bedingungen. Es kümmert sie nicht, ob wir als Spezies Mensch erfrieren, in der Hitze verrecken, verhungern oder verdursten. Es muss sie auch nicht kümmern, warum auch! Sie ist nicht auf uns angewiesen.

Wir aber, als selbsternannte Spitze der Nahrungskette, sollten uns kümmern. Und zwar sehr! Wir sollten uns kümmern, wie es um das Fundament und den ganzen Verlauf dieses komplexen Prozesses steht. Wir sollten uns sorgen, wenn die Rädchen nicht mehr präzise ineinandergreifen, weil hier oder dort ein Zahn in den Rädern fehlt. Wir Menschen brauchen die Biodiversität, um zu überleben. Mit der Annahme der Initiative verlieren wir nicht Freiheit, wie von den Gegnern kolportiert wird. Nein, wir gewinnen die Möglichkeit, am Leben zu bleiben.»

Die Schweizer Politikerin (Grüne) und ehemalige Biobäuerin Susanne Hochuli war von 2009 bis 2016 Regierungsrätin des Kantons Aargau. 2017 wurde sie zur Präsidentin der Stiftung für Patientenschutz und 2018 zur Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz gewählt.

 

Foto: Katharina Nüesch

 

Martin Jucker

Biodiversität beginnt nicht bei blühenden Pflanzen, sondern im Boden

«Dass wir eine Biodiversitätskrise haben und wir dringend gegensteuern müssen, steht für mich ausser Frage. Wenn das natürliche System kippt, werden wir alle mitkippen.

Die Initiative geht davon aus, dass durch mehr staatliche Regulierung eine Verbesserung der Situation erreicht werden kann. Wenn dem so wäre, hätten wir das Problem nicht. Die Landwirtschaft ist bereits heute dramatisch überreguliert. Jedes ‹Mehr› ist darum ‹Weniger›.

Im politischen Diskurs wird Biodiversität immer gegen Nahrungsmittelproduktion ausgespielt. Alle reden von Bienen und blühenden Magerwiesen. Biodiversität ist aber viel mehr als das und zu komplex, um es so zu vereinfachen, dass zum Beispiel ein Gesundheitspolitiker in Bern seriös mitreden kann. Biodiversität beginnt nicht bei blühenden Pflanzen, sondern im Boden.

Landwirt*innen müssen für freiwillig erbrachte Leistungen (nicht Massnahmen) gut entlöhnt werden, im Sinne des Motivationsprinzips. Biodiversität und Nahrungsmittelproduktion helfen einander – die regenerative Landwirtschaft kennt die Rezepte dazu. Die Schweizer Bundesverfassung darf diese zwei Themen nicht gegeneinander ausspielen, sonst gibt es nur einen Verlierer: die Biodiversität.»

Martin Jucker ist gelernter Obstbauer und Gründungsmitglied der Jucker Farm AG. Das Landwirtschaftsunternehmen betreibt regenerative Landwirtschaft unter anderem in den Bereichen Obst-, Gemüse-, Wein- sowie Ackerbau und vermarktet einen Grossteil davon selber.

 

Foto: Mauritius Images

 

Bernhard Schmid

Die Initiative ist völlig harmlos

«Die Biodiversität und der Schutz anderer Güter soll in erster Linie rechtlich besser verankert werden, was in der Schweiz bereits erreicht wurde, etwa mit dem Schutz von Mooren und wertvollen Biotopen, mit Förderflächen sowie deren Vernetzungen. Ich kenne kein vernünftiges Argument gegen diese Ziele. Die Biodiversität und die genetische Vielfalt sind für uns Menschen lebenswichtig.

Tatsächlich macht die Schweiz das schon jetzt nicht schlecht: Mehrheitlich biozertifizierte Betriebe scheiden hierzulande einen Teil ihrer Flächen zur Förderung der Biodiversität aus. Das ist bei uns besser geregelt als in der EU. In Spanien zum Beispiel wird viel Biogemüse in Gewächshäusern gezüchtet, damit weniger Pestizide verwendet werden müssen und der Ertrag gesteigert werden kann. Aber das ist für die Biodiversität sogar noch schlechter als der Anbau auf freiem Feld. Eine neue Studie zur Situation in der EU zeigt, dass es ohne Förderflächen, wie wir sie haben, nicht gut aussieht.

Die hiesigen Förderflächen sind so wirksam, weil es viele sind und sie relativ nahe beieinander liegen. Das ist wichtig, damit die Insekten von einer Fläche zur andern gelangen können. Die Biodiversitätsflächen beziehungsweise die ökologischen Ausgleichsflächen wie Wildblumenstreifen, Hecken oder der Ackerrandbereich sind aber auch für die Landwirtschaft extrem wichtig. Denn ein solcher Streifen hat einen direkten positiven Effekt auf die landwirtschaftliche Produktion.»

Dies ist ein Auszug aus einem Interview mit Bernhard Schmid, das in der Septemberausgabe vom Pflanzenfreund erscheint.

Bernhard Schmid war Professor für Umweltwissenschaften und seit seinen Anfängen 1994 Direktor des gleichnamigen Instituts an der Universität Zürich, das im Nachgang des Erdgipfels in Rio de Janeiro 1992 gegründet wurde. Sein Forschungsinteresse gilt der biologischen Vielfalt in Ökosystemen, zu denen auch landwirtschaftlich bewirtschaftete Felder und natürlich der Wald gehören.

 

Foto: Judith Supper

 

Erwin Meier-Honegger

Vom Dafür und Dawider

«Der Schlagabtausch um die Biodiversitätsinitiative scheint mir ordentlich gehässig. Dies auch aufgrund der medialen Berichterstattung, welche abhängig vom publizierenden Organ entweder für die Initiative oder dagegen argumentiert. In ihrem Kern ist die Initiative äusserst komplex und vielfältig: Da würde ich mir eine weniger indoktrinierende Einordnung von Seiten der Medien wünschen.

Es ist das Anliegen des Pflanzenfreunds, einen objektiven Einblick in die Thematik zu ermöglichen. Bezeichnenderweise ist sich auch das Redaktionsteam zum Dafür und Dawider uneins. Auf der befürwortenden Seite stehen die Journalistinnen der Redaktion, ich als Verlagsleiter befinde mich auf der ablehnenden Seite.

Ich blicke auf die Initiativ aus der Perspektive des Gärtners, der im täglichen Umgang mit der Biodiversität seinen Lebensunterhalt bestreitet. Das bedeutet ganz und gar nicht, dass mein Tun der Biodiversität immer nur zuträglich ist; manchmal ist eher das Gegenteil der Fall. Denn der Natur einen Ertrag abzuringen, ist richtig, richtig anspruchsvoll. Jedoch sehe ich ein, dass dieser Blickwinkel durch mächtige Lobbyorganisationen zuweilen über Gebühren verdreht wird. Ihn deswegen komplett abzukanzeln, geht aber auch nicht.

Wenn sich das Expertentum gegeneinander einschiesst, wird erfahrungsgemäss den Falschen in die Hände gespielt. Der Biodiversität wird dadurch einen Bärendienst erwiesen. Die Initiative ist gut gemeint und verspricht viel Wünschenswertes – jedoch zum Preis einer Spaltung der direkt Involvierten. Einem relevanten Teil letzterer wird die freiwillige Motivation vergehen, sich im beruflichen Alltag für die Biodiversität zu engagieren. Wenn die Biodiversität zu einer administrierten Verwaltungsaufgabe wird, ist das Gegeneinander statt Miteinander unausweichlich.»

Seit September 2019 ist der gelernte Gärtner Erwin Meier-Honegger Verleger des Pflanzenfreunds und in der vierten Generation Teil der Ernst Meier AG in Dürnten.

 

Foto: Katharina Nüesch

 
 

Foto: Katharina Nüesch

 
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