Kreaturen der Nacht
Texte: Nicole Häfliger
Warum eigentlich …
… sind Dickmaulrüssler nachtaktiv?
Tummeln sich Dickmaulrüssler (Otiorhynchus sulcatus) im Garten, sind «buchtig» angeknabberte Blätter nicht weit. Das ist unschön, aber nicht weiter schlimm. Unter Tage jedoch tun sich seine Larven an den Wurzeln gütlich, was besonders bei Topfhaltung zu einem jähen Ende der Pflanze führen kann. Doch die Käfer aufzuspüren, ist nicht einfach: Die Tiere verschlafen den Tag gut versteckt im Laub oder in der Bodenstreu. Den sinnigen Grund erklärt Oliver Yves Martin, Präsident der Schweizerischen Entomologischen Gesellschaft: Dickmaulrüssler sind flugunfähig, relativ gross, und dazu noch braun-schwarz gefärbt. Sässen sie nun tagsüber auf ihrer Mahlzeit, den sattgrünen Blättern, wären sie leichte Beute. Nachts ist das kein Problem, verfügen doch nur wenige ihrer natürlichen Feinde über eine Taschenlampe.
… singen Nachtigallen nachts?
Um das Trällern der Liebesbotin zu vernehmen, braucht es keine Taschenlampe, aber Glück: In der Schweiz ist die Nachtigall (Luscinia megarhynchos) nur spärlich vertreten und auch sonst recht speziell. Als einziger Vogel singt sie mitten in der Nacht, zwischen zwei und vier Uhr. Auch übertrifft sie mit ihrem Repertoire fast jeden anderen europäischen Singvogel. Beides hat tatsächlich mit Liebe zu tun. Die Sänger nämlich sind Männchen, die um die Gunst eines willigen Weibchens buhlen. Ge- und erhört zu werden ist nachts, wenn die Bühne allein ihnen gehört, am wahrscheinlichsten. Und nun gilt es, das ganze Können unter Beweis zu stellen, denn wer am besten, schnellsten und kompliziertesten singt, schnarrt und trillert, ist gesünder, erfahrener und somit erfolgreicher beim Paaren. Der Name übrigens stammt vom althochdeutschen nahtagala, wobei das Verb galan so viel wie singen, verzaubern oder behexen bedeutet.
… heissen Nachtschattengewächse so?
Verzaubernd scheint die Familie, zu denen Tomate, Kartoffel, aber auch Tollkirsche, Bilsenkraut oder Alraune gehören, durchaus. Immerhin lässt sich mit vielen von ihnen heilen, vergiften und berauschen (wenn nicht gar – mithilfe von Flugsalben – fliegen). Der Name wurde ursprünglich dem Schwarzen Nachtschatten (Solanum nigrum) verliehen, wohl weil er Albträume, sprich den «Nachtschaden», vertreibt. In der Tat hat die Pflanze eine einschläfernde und somit für Alb-Geplagte eine tröstend-lindernde Wirkung. Das passt. Das lateinische Verb solari, das in Solanaceae (dem Familiennamen auf Botanisch) steckt, heisst nämlich genau dies: trösten und lindern.
… wachsen Bäume vornehmlich in der Nacht?
Einen ungestörten Schlaf brauchen besonders Kinder, wachsen sie doch nachts. Das haben sie mit Bäumen gemeinsam, wenn auch nicht aus ganz denselben Gründen. Eine 2021 erschienene Studie unter der Leitung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL zeigte, dass Bäume vornehmlich zwischen ein und sechs Uhr wachsen. Der Grund: Die tagsüber stattfindende Fotosynthese soll ungehindert ablaufen. Dies ist nur gewährleistet, wenn der Baum sein Wachstum auf Zeiten beschränkt, in denen die Luftfeuchtigkeit hoch genug dafür ist. Tagsüber ist das selten der Fall, was einem angesichts des vergangenen Sommers spanisch vorkommen mag. Aber wir sind ja auch keine Bäume.