Entscheiden dürfen

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Erwin Meier-Honegger ist Co-Geschäftsleiter der Firma Ernst Meier AG, Gärtner und setzt sich leidenschaftlich für seinen Berufsstand ein. Er ist international in zahlreichen Gremien aktiv und pflegt einen kritischen Blick auf seine Branche. In seinen Artikeln und Kommentaren nimmt er kein Blatt vor den Mund.


Als ich meine ersten Erfahrungen mit der Übernahme von Verantwortung im Familienunternehmen machte, beklagte ich mich einmal über die Bürde, andauernd entscheiden zu müssen. Soll in eine neue Technologie investiert werden? Soll der Stab über einer bestimmten Mitarbeiterin oder einem bestimmten Mitarbeiter gebrochen werden? Soll ein Produkt aus dem Sortiment verbannt werden? Soll von einem Lieferanten zu einem anderen gewechselt werden?

Mein Gegenüber sah mich verständnislos an und entgegnete mir eindringlich, dass es doch ein absolutes Privileg sei, entscheiden zu «dürfen». Statt mich selbst zu bemitleiden, solle ich gefälligst an all jene denken, welche nicht mitentscheiden können. Letztere hätten Grund, sich zu beklagen. Diejenigen, die Entscheidungen fällen «dürfen», sollten sich ihres Privilegs bewusst sein.

Wenn sich meine Stirn heute ob einer kniffligen Entscheidung in Falten legt, denke ich an diese Konversation zurück: Entscheiden «dürfen» – wie bin ich ob dieser unternehmerischen Freiheit doch privilegiert. Gleichzeitig erinnere ich mich an die Feststellung des französischen Philosophen Albert Camus, dass es nicht die Privilegien sind, aus welchen die Freiheit besteht, sondern aus Pflichten. Und mit Pflichten eng verwoben ist immer auch Verantwortung.

Bezüglich der anstehenden Initiativen um Pestizide und Trinkwasser beschert uns unser freiheitliches Demokratiesystem wieder einmal ein besonders kontroverses Wechselbad aus Privileg und Pflicht. In Bezug auf diese beiden Initiativen stehe ich als Gärtner natürlich besonders in der Verantwortung, mich pflichtbewusst mit dem Thema auseinanderzusetzen. So befasse ich mich seit der Einreichung der beiden Initiativen Anfang 2018 intensiv mit deren Ansinnen.

Im Branchenverband JardinSuisse gingen die Meinungen in den unterschiedlichen Fachgruppen um Zustimmung oder Ablehnung der Initiativen auseinander. Schlussendlich hat sich JardinSuisse zusammen mit anderen Verbänden der «Interessengemeinschaft Zukunft Pflanzenschutz» angeschlossen. Deren Argumente gegen die Initiativen kann ich sowohl aus privater als auch gärtnerischer Perspektive und Erfahrung absolut nachvollziehen. Diese geht davon aus, dass es der Wissenschaft gelingt, auch ökologisch sinnvolle, chemische Pflanzenschutzmittel zu entwickeln.

Ich traf mich auch mit Ulrich Veith, dem zunächst erfolgreichen Initianten des Referendums für eine pestizidfreie Gemeinde im Südtirol. Vom «Malser Wunder» war damals die Rede. Doch das Wunder ward nicht Wirklichkeit. Das lokale Pestizidverbot wurde für null und nichtig erklärt, schlicht, weil die Gemeinde für diese – allein vom Staat zu regelnde – Umweltschutzfrage nicht zuständig sei. An einem tristen Novembertag erzählte mir Ulrich Veith, damals noch Bürgermeister von Mals, beim Mittagessen die eindrückliche Geschichte um das hehre Ansinnen und den politischen Klüngel. Im Anschluss an dieses Gespräch hätte ich sowohl der Trinkwasser- als auch der Pestizidinitiative sofort zugestimmt.

Trotz unzähligen Gesprächen mit unterschiedlichsten, engagierten Menschen, bin ich zutiefst gespalten. Ich weiss nicht mehr, was ich abstimmen soll und würde mich am liebsten enthalten. Mein Pflichtbewusstsein in Anlehnung an die erwähnte Aussage von Albert Camus wird mich jedoch zur Urne führen. Denn der bewusste Mensch ist, wie Camus schreibt, «Herr seiner Tage» und seines Schicksals Schmied. Und wie ich mich kenne, werde ich wohl für beide Initiativen ein «Nein» in die Urne legen. Einerseits aus meinem freiheitlichen Empfinden heraus. Und andererseits als verbindliche Verantwortung an meine Gärtnerpflicht, alles daran zu setzen, die Ziele der Initiativen trotzdem umzusetzen.

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